Wandern zwischen den Welten....

05.10.05

The United States of America




September 2005. Meine nächste Reise führt mich in einen – zumindest für meine Begriffe – exotischen Teil der Welt: ich reise in die USA! Für jemanden wie mich, die mich meine Reisen bisher vorwiegend in die Länder der sogenannten „Zweiten und Dritten Welt“ geführt haben, ist meine erste Reise zur „First Nation“ ein echtes Erlebnis. Vermutlich nicht nur für mich – denn dieses Land ist so vielseitig, so widersprüchlich, es vereint so viele verschiedene Nationen, Lebensweisen und Kulturen in sich, dass dort vermutlich jeder Reisende große Augen kriegt, schon alleine angesichts der für Europäer schier unermesslichen Größe des Landes, der weiten Landschften, der sechsspurigen Highways, der überdimensionierten Milchtüten, der schiffartigen Autos oder der vielen, irgendwie leicht „oversized“ bzw. „overweight“ wirkenden Menschen.

Meine erste Reise in die United States of America führt mich zunächst nach Arizona, wo Olaf seit einem Jahr in einem Forschungsprojekt an der Arizona State University arbeitet. Die nervigen Einreiseprozeduren in die USA kenne ich schon von früheren Stop Overs auf meinen Reisen von Europa nach Lateinamerika und so ziehe ich mich bei der Landung in Dallas innerlich warm an angesichts der mir schon bestens bekannten rüden Umgangsformen an den Immigration Desks. Auch diesmal schaffe ich es mal wieder, genau den falschen Zettel an der falschen Stelle abzugeben, werde daraufhin mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck zurückgeschickt, um das grüne statt des weißen Formulars auszufüllen, stelle mich brav erneut in einer der endlos langen Schlangen an, nervös auf die Uhr blickend, weil ich meinen Anschlussflug nach Phoenix nicht verpassen will. Als ich endlich wieder vor dem Immigration Officer stehe, den richtigen Zettel fast komplett richtig ausgefüllt, meine Fingerabdrücke auf einem kleinen digitalen Touch Pad hinterlassen habe, mich per Digitalkamera habe fotografieren lassen und die neugierigen Fragen des Beamten ohne bissigen Verweis auf Datenschutz und Privatsphäre beantwortet habe („was machen Sie in Peru?“, „ist das so eine Art Missionarsarbeit oder eher the business side of development cooperation?“ „was wollen Sie in den Vereinigten Staaten?“, „Wieso waren Sie schon in so vielen Ländern auf der Erde?“ und last but not least „Wieso waren Sie vorher noch nie länger als für einen Zwischenstop in den Vereinigten Staaten?“ – ich verkneife mir die Antwort, die mir auf der Zunge liegt...), stempelt er mir endlich, endlich das Visum in den Pass und ich darf weitergehen, zur Gepäckabholung, durch den Zoll, zum Wieder-Check-In, zu der nächsten, endlosen Schlange vor den Röntgengeräten der Handgepäckkontrollen, wo wir Wartenden im vorauseilenden Gehorsam schon brav unsere Schuhe ausziehen, Ringe und Armbanduhren in Plastikschalen legen, Laptops aus der Tasche nehmen – und es den Kontrolleuren doch nicht recht machen können, die uns denn auch wütend anherrschen, weil wir die Arme nicht weit genug nach oben nehmen, ein paar Münzen in unseren Hosentaschen übersehen haben oder verbotenerweise versuchen, ein Sandwich von Texas nach Arizona zu „schmuggeln“. Welcome to the United States of America – zum Glück steht es auf einem Schriftzug in einem der vielen Gänge auf dem Weg von einem Gate zum anderen, sonst hätte ich fast nicht gemerkt, dass ich hier herzlich willlkommen bin!

Die Landung in Arizona ist dafür um so schöner, denn am Gepäckband wartet schon Olaf auf mich, nimmt mich genervtes Bündel in den Arm, schleppt meinen Koffer und verfrachtet mich in ein Taxi, das mir nach dem ersten Kontakt mit der heißen Luft Arizonas gleich wie der Wechsel vom Backofen in den Kühlschrank vorkommt. Eine Erfahrung, die ich in den nächsten zwei Wochen noch häufig machen werde.....

Tempe, Olaf’s derzeitige Wahlheimat, ist ein relativ verschlafenes „Städtchen“ und die Vorstadtsiedlung, in der Olaf wohnt, dämmert in der Nachmittagshitze vor sich hin. Kein Mensch ist auf der Straße zu sehen, alle haben sich bei um die 43 Grad Celsius in ihre klimatisierten Häuser, Büros, Shopping Malls oder Autos zurückgezogen und werden auch am Abend, wenn die Temperaturen auf etwa 33 Grad sinken, nicht herauskommen. Die Luft flirrt vor Hitze und die wenigen Meter vom Taxi zur Haustüre wirken schweißtreibend. „Zuhause“ angekommen, begrüßen mich die fünf Katzen von Kim (Olaf’s Vermieterin und Mitbewohnerin) – Astro (der Verschmuste), Hepseba (die Majästetische), Orbit (der Schöne), Jupiter (der Schlanke) und Postre (der Exzentrische). Auch sie scheinen gerade ihrer nachmittäglichen Siesta zu fröhnen und nach kurzem Aufhorchen und Um-Futter-Betteln drapieren sie sich wieder auf Stühle, Sofas und Kissen und fallen zurück in ihren schnurrenden Schönheitsschlaf. Ich zögere nicht lange, es ihnen gleich zu tun, räkle mich gemütlich unter dem surrenden Ventilator und der klappernden Klimaanlage - und schlafe erst mal ein paar Stunden!

Die nächsten Tage verbringe ich mit Olaf in Tempe, wo ich seine Freunde, seinen Arbeitsplatz, seine Kollegen, seine Uni, seine Lieblingsrestaurants und –buchläden kennenlerne. Ich habe eine längere Liste von Dingen, die ich in den USA besorgen will, weil ich sie in Peru nicht bekomme, und so machen wir uns auf den Weg in eine auf 25 Grad heruntergekühlte Shopping Mall, in der ich mir erst mal ein paar Jeans und langärmlige T-Shirts kaufen muss, damit ich beim Einkaufstrip nicht erfriere. Hier gibt es alles, was Mensch so braucht und vieles, was kein Mensch braucht. Die Mall ist riesig, die einzelnen Shops auch, und – was sehr angenehm ist – sogar die Umkleidekabinen sind total geräumig und wirken eher wie Umkleidesäle auf mich. Es macht Spass, hier einzukaufen, und ich verfalle in meinen ersten original amerikanischen Kaufrausch, ein Gefühl, das in dieser Gesellschaft oft und gerne stimuliert wird, dessen man sich auch in keinster Weise schämen muss, sondern auf das man stolz sein darf, denn wer shoppt, ist ein Wohltäter, er fördert das Bruttosozialprodukt und trägt bei zum allgemeinen „Ist-das-Leben-nicht-wunderbar-Gefühl“. Stolz trage ich also nach vollbrachter Tat meine sieben Tüten nach Hause – in dem Gefühl, heute endlich mal etwas wirklich Wichtiges zum Wohle der Menschheit beigetragen zu haben.

Die erste Etappe unserer nach kurzer Überlegung auf zwei läppische Stationen zusammengekürzten Amerikarundreise führt uns nach San Francisco – eine Stadt, in die ich mich auf Anhieb verliebe und für die ich schon deshalb eine große Sympathie hege, weil sie sich – wie Lima –oft und gerne in einen kühlen, weißen Nebel hüllt, der vom Pazifik aufsteigt und an so manchen Sommertagen die Stadt in eine deutsche Novemberstimmung versetzt. Nicht, dass ich diese Nebelschwaden besonders anheimelnd fände, aber wenn sogar eine Weltstadt wie San Francisco sich diese exzentrische Marotte leistet, dann muss ich Lima dafür ja in Zukunft auch nicht mehr so sehr grollen :-) .... Wenn also nicht unbedingt der Nebel, was dann fasziniert mich so auf Anhieb an San Francisco? Es ist eine Stadt mit Persönlichkeit und Charisma – irgendwie sehr amerikanisch, und dann doch wieder so überhaupt nicht typisch für dieses Land. Ich bin begeistert von den Hügeln San Franciscos, von den vielen verschiedenen Neighbourhoods – angefangen von der farbenfrohen, quirrligen China Town über das ruhige, stilvolle japanische Viertel, vom lauten Latino-Barrio zum gediegenen Finanzzentrum mit seinen jung-dynamischen Bänkern im blauen Anzug und weißen Hemd. Die Architektur dieser Stadt ist so vielfältig wie seine Bewohner – da gibt es gläserne Wolkenkratzer in allen möglichen Höhen und Formen, die flachen Piers am Hafen mit ihren großen Lagerhallen und den weißen Segelbooten davor, die typisch amerikanischen, einstöckigen Vorstadthäuser mit Garten und Garage in den Mittelstandsvierteln und edle Villen im viktorianischen Stil auf Nob Hill oder am Rande des Golden Gate Parks. Ich kann mich nicht sattsehen an den immer neuen Aussichten, den Blicken die weiten Straßenschluchten hinunter, durch die sich die mit Touristen vollgestopfte Cable Car arbeitet. Ich erträume mir ein blaues Haus auf Nob Hill, mit Blick auf den Hafen zur einen Seite und auf das moderne City-Center zur anderen Seite, nur einen Katzensprung vom italienischen Viertel entfernt, wo eine Pizzeria neben der anderen ihre leckeren italienischen Spezialitäten anbieten. Das kulturelle Angebot in San Francisco ist so enorm groß, dass uns die Auswahl unter den verschiedenen Museen und Ausstellungen schwerfällt, und letztlich schaffen wir nur einen kleinen Teil von dem, was wir in die engere Wahl genommen hatten. Denn schließlich sind da auch noch die vielen schönen Parks, die Golden Gate Bridge, eine Rundfahrt mit dem Boot durch die San Francisco Bay und die vielen, vielen netten kleinen thailändischen, vietnamesischen, chinesischen, japanischen, persischen und und und..... Restaurants, die schnuckeligen Cafés, Second-Hand Buchläden und tausend andere Attraktionen, die wir unbedingt noch sehen müssen.... Die Zeit verfliegt in San Francisco, wir lassen uns treiben, genießen die bunte Vielfalt hier, diskutieren über die vielen Homeless People, die wir in den Straßen sehen, oftmals Schwarze, aber auch gestrandete Flower-Power-Überbleibsel, behinderte Menschen, Drogensüchtige.... als wir abends zu Fuß durch so manche dunkle Gasse in San Francisco gehen, habe ich ein ähnlich komisches Gefühl wie ich es auch oft in Lima haben. Die Typen, die hier rumhängen, sehen nicht gerade vertrauenerweckend aus, und wir sehen zu, dass wir in den nächsten Bus steigen. Auch das ein Teil der amerikanischen Realität: die Verlierer einer total auf Konsum und Fun eingestellten Gesellschaft, diejenigen, die dem American Way of Life nicht gewachsen sind oder es nicht sein wollen... Es ist eine widersprüchliche Gesellschaft, mit krassen Gegensätzen, und ein Ausflug ins Latino-dominierte Mission-Viertel läßt uns diese Gegensätze in ihrer ganze Spannbreite erahnen.

Ich bin mir sehr bewußt, dass wir hier zu einer privilegierten Schicht gehören, dass wir uns vieles leisten können (oder im Urlaubs-Ausnahmezustand leisten wollen...), was für andere Mitglieder dieser Gesellschaft unerschwinglich ist. „Shop til you drop“ – diesen Lebensstil muss man sich erst mal leisten können. Manche „droppen“ schon durch den ganz normalen Wahnsinn des Alltags...

In San Francisco liegen die Welten eng beieinander – hier befinden sich China und Japan, Mexico und Guatemala, erste Welt und dritte Welt, Flower Power und dot.com-Welten in unmittelbarer Nachbarschaft. Es ist erschreckend, diese Gegensätze zu sehen, aber auch sehr faszinierend.

Als wir nach 5 Tagen unser bescheidenes 82-Dollar-Hotelzimmer räumen und uns auf den Weg zum Flughafen machen, weiß ich, dass ich zurückkommen werde in diese Stadt. Irgendwann werden Olaf und ich dieses süße blaue Haus auf Nob Hill kaufen – wenn wir groß sind, und reich, und berühmt, und den Aufstieg vom Tellerwäscher – äh, Entwicklungshelfer und brotlosem Forscher- zum Millionär geschafft haben...

Wir fliegen also zurück ins heiße Arizona und bereiten die zweite Etappe unserer „Sanne-entdeckt-Amerika-Tour“ vor. Diesmal führt uns unser Weg nur knapp 170 Meilen nach Norden. Wir bleiben in Arizona und schauen uns eine der großen Berühmtheiten dieses Bundesstaates an: den Grand Canyon. Jeder kennt ihn von Bildern, aber die Wirklichkeit ist dennoch überwältigend. Dieser riesige Riss in einer eigentlich völlig platten Wüstenlandschaft ist absolut erstaunlich. Da tut sich ganz unvermittelt eine ganze Bergwelt vor uns auf – versteckt in einer Schlucht, die so tief ist, dass der tiefste Punkt von oben aus nicht zu sehen ist. Es ist kühler hier, zumindest an den oberen Kanten des Canyons, doch wenn man hinabsteigt wird es mit jedem Meter trockener und heißer und wir brechen unsere Wanderung bald ab, weil die zweieinhalb Liter Wasser, die wir pro Nase dabeihaben, nicht lange vorhalten. Ich bin tief beeindruckt von diesem Naturspektakel, von den bizarren, roten Felsformationen und den über unseren Köpfen kreisenden Kondoren. Doch auch weniger spektakuläre Landschaften, wie der Sunset Crater oder die Ruinen von Wupatki, einer alten Indianersiedlung, versetzen mich in Begeisterung. So fahren wir tagelang durch Arizona, halten hier, staunen da, machen viele, viele Fotos, wandern in Parks und durch grüne Espenwälder, bewundern die Farbenpracht der Painted Desert, genießen morgens die herrlichen Blueberry Pancakes oder Burritos mit Bohnen und Hash Potatoes und abends die Vielfalt der exotischen Restaurants, die es – neben McDonalds und Pizza Hut – auch und entgegen aller anders lautender Gerüchte in den USA gibt. Man kann hier sehr gut essen, auch sehr gesund, wenn man es darauf anlegt, und die Fast-Food-Ketten sind nur ein Teil der amerkanischen Esskultur.

Dieser Ausflug in die amerikanische Realität zwingt mich, viele meiner Vorurteile zu revidieren. Ich mag die Amerikaner, die mir fröhlich zuwinken, während ich gerade nichtsahnend in entgegengesetzter Richtung durch die Einbahnstraße fahre. Ich finde es schön, wenn mich jemand fragt „how are you today“ – und sei es nur, weil er es in einem Kurs über Dienstleistungsorietierung so gelernt hat. Die Leute hier wirken entspannt auf mich, relaxt, ungestresst und unstressig. Ich merke, wie schön es ist, mal alle Gedanken an die Ungerechtigkeiten der Welt wegzuschieben und einfach das Leben zu genießen – und es gibt wohl kein Land auf dieser Welt, in dem einem das so leicht gemacht wird wie hier in den USA! Das Autofahren macht Spaß hier – kein Gehupe, kein Gedrängle und Geschubbse wie in Lima, kein Stau, der Verkehr fließt auf den überdimensionierten Highways völlig easy vor sich hin, und oftmals sind wir ganz alleine auf weiter Flur, mit unserem kleinen roten Mitsubishi.

Die weiten Landschaften erwecken das Gefühl von grenzenloser Freiheit in mir, von unendlicher Weite und ich bekomme eine kleine Idee dafür, warum die Amerikaner so sind, wie sie sind: hoffnungslos naiv, verliebt in ihr großartiges Land, blind für die Schattenseiten des Lebens, unglaublich optimistisch und unglaublich weltfremd.

Und doch bleibt es dabei, ich mag dieses Land, ich mag diese Leute (nicht alle, denn ich weiß, dass sich hier 51 % Bush-Wähler rumtreiben, dass Olaf’s Freunde wohl alles andere als repräsentativ sind für den Durchschnittsamerikaner und ich ahne, dass ich mit der oberflächlichen Freundlichkeit vielleicht bei längerer Exposure auch meine Probleme haben könnte), ich mag die Landschaften Arizonas, den blauen Himmel, die Weite und das Gefühl, dass hier die Dinge nicht so eng sind wie in Deutschland, aber auch nicht so chaotisch wie in Peru.

Ja – ich weiß, das klingt schon fast gefährlich. Die USA zu mögen ist aus der Mode gekommen. Schließlich führt dieses Land einen völlig sinnlosen und in keiner Sekunde gerechtfertigten Krieg gegen den Irak. Schließlich ist dieser Präsident, der glaubt, die Welt beherrschen zu können, der dümmste Idiot, den die Welt je als Präsidenten gesehen hat. Schließlich weigern sich diese Amis, aus ihren großen, 16-Liter-Benzinschluckern auszusteigen und das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben, statt dessen nehmen sie immer heftiger wütende Hurrikane in Kauf, bei denen dann in erster Linie die Verlierer des American Way of Life auf der Strecke bleiben, die Schwarzen, die Homeless People, diejenigen, die nicht genug besitzen, um sich in ihren vollklimatisierten Van zu setzen, mal kurzerhand den Tank für 100 Dollar zu füllen und sich in ein kuscheliges Hotel in Sicherheit zu bringen. Schließlich sind die Amerikaner neurotisch genug, sich jeden Terrorbären aufbinden zu lassen und blind genung, die wahren Wurzeln für den weltweit grassierenden Terror zu erkennen und zu bekämpfen. Es ist ein durchaus widersprüchliches Land – wie wohl jedes industrialisierte Land irgendwie auch ein widersprüchliches Land ist, denn wir leben in einer Welt voller Gegensätze, und wie sollen da die Widersprüche ausbleiben? Aber es ist auch ein schönes Land. Ein Land voller Chancen. Ein Land, in dem man gefragt wird „Did you have fun?“ und in dem es leicht ist, genau das zu haben: Fun! Und ich kann Euch gar nicht sagen, wie inspirierend und befreiend ich es fand, einfach mal nur „just for fun“ zu leben.....


 
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