Wandern zwischen den Welten....

02.12.05

Gesundheit !!!

Gestern ist der Bruder unseres Hauswächters gestorben. Mit unseren Spenden konnten wir sein Leben leider nicht mehr retten - aber vielleicht tröstet es Euch, dass wir es zuminest versucht haben...
Heute habe ich in der Zeitung folgenden Artikel gelesen: 25.000 PeruanerInnen leiden an Krebs. Mindestens 10.000 können nicht angemessen medizinisch behandelt werden, weil es in den Krankenhäuern der "Provinzen" keine entsprechende medizinisch-technische Ausstattung gibt. In Lima gibt es zwar modernste Hochglanz-Kliniken, die aber nur denen offenstehen, die am Eingang ihre Kreditkarte vorweisen können. Die staatlichen Kliniken Limas - längst nicht so gut, wie die teuren Privatkliniken, aber dennoch sehr viel besser als viele Distriktkrankenhäuser - stehen zwar auch den ärmeren Bevölkerungsschichten offen, trotzdem bleiben sie für viele Kranke unerreichbar, weil diese sich mehrfache Reisen nach Lima einfach nicht leisten können, geschweige denn die hohen Kosten für Behandlung und Medikamente.
Laut dem Zeitungsartikel wird in den meisten Fällen die Krebserkrankung auch erst so spät diagnostiziert, dass jegliche wirksame Behandlung zu spät kommt.

2. Dezember 2005

Hallo Ihr Lieben!

Nachdem Ihr eine Weile nichts von dem Mann im braunen Pullover und seinem Bruder gehört habt, will ich Euch heute mal wieder einen kleinen „Lagebericht“ schicken. Nach meiner Rundmail und Euren Spenden und netten Zeichen der Solidarität hat der Mann im braunen Pullover seinen Bruder und dessen Frau vor 4 Wochen nach Lima geschafft und die beiden bei sich in seiner Einzimmerwohnung einquartiert. Am nächsten Tag sind alle zusammen zur Klinik gefahren, wohin man ihn in der Folge fast täglich zu Untersuchungen einbestellte, eingewiesen aber wurde er nicht (mit der Begründung, es gebe kein freies Bett und 200 Anwärter, die genauso dringend auf einen Krankenhausplatz warten). Der kranke Mann und seine Frau fuhren also täglich zwischen der Wohnung und dem Krankenhaus hin und her. Man kann sich kaum vorstellen, wie ein schwer krebskranker Mann diese täglichen Transporte im Taxi überstanden hat... in der Klinik saß er oft stundenlang und wartete auf den langen Plastikstuhlreien, bis er an die Reihe kam: Röntgenuntersuchungen, diverse Blutabnahmen, Tomographien, Endographien... Immer wurde der Mann abends nach Hause geschickt, obwohl seine Verfassung mit jedem Tag schlechter wurde. Eine Operation wurde von der Klinik offenbar nicht ins Auge gefaßt – über die Gründe herrschte beim Mann im braunen Pullover und seiner Familie die ganze Zeit Unklarheit.
Heute nun haben die Ärzte endlich ihre traurige Diagnose verkündet: sie können dem Bruder vom Mann im braunen Pullover nicht mehr helfen, der Krebs ist schon viel zu weit fortgeschritten, es bleibt ihm nicht mehr lange zu leben. Das einzige, was bleibt, ist ihm mit Hilfe von Medikamenten die Schmerzen zu erleichtern. Morgen wird der Mann mit seiner Frau also in einer zehnstündigen Busfahrt zurück nach Pucallpa fahren, in sein Zuhause, zu seinen Kindern. Ich habe dem Mann im braunen Pullover nochmal Geld gegeben, damit sie das Busticket kaufen können und die Medikamente für die nächsten Tage, vielleicht Wochen. Ich hoffe, dass der Bruder unseres Wächters nicht mehr lange leiden muss. Die Schmerzen müssen schrecklich sein, und der Mann nimmt wohl auch seit Tagen kaum mehr Nahrung zu sich. Dem Mann im braunen Pullover habe ich nun das restliche Geld gegeben, mit einer Karte, in der ich Grüße von Euch allen schreibe. Vielleicht ist es ihm ein Trost, dass in der Ferne so viele Menschen helfen wollen.... Der Mann im braunen Pullover dankt mir immer wortreich und untergeben – war mir sehr unangenehm ist, aber ich gebe seinen Dank gerne an Euch weiter, denn schließlich war und ist diese Unterstützung nur durch die Summe Eurer Spenden möglich!

In diesem Sinne: nochmals ganz, ganz herzlichen Dank Euch und liebe Grüße aus Lima von

Eurer Sanne


1. November 2005

Hallo alle zusammen,

diejenigen unter Euch, die schon ab und zu mal auf mein Weblog geschaut haben, kennen ihn vielleicht schon, den Mann im braunen Pullover, der das Haus bewacht, in dem ich wohne. Ich hatte im Oktober schon mal über ihn geschrieben. Er ist klein und schüchtern und nennt mich immer „Señorita“. Er hält mir die Tür auf und freut sich, wenn ich von einer Reise zurückbin. Dann fragt er immer: „Jetzt bleiben Sie aber eine Weile bei uns, oder, Señorita? Jetzt verlassen Sie uns nicht gleich wieder?“ Manchmal unterhalten wir uns eine Weile – über das Wetter, über meine Reisen, über den grauen Himmel über Lima. Sein Job muss tödlich langweilig sein – 12 Stunden am Tag, 6 Tage pro Woche, sitzt er in dem kleinen Kabäuschen am Eingang, hält Türen auf, hilft mit den Einkaufstüten, sortiert die Post in die Briefkästen – nicht mal den Hof kehren darf er, dafür kommt ein anderer, jüngerer Mann.... Der Mann im braunen Pullover verdient 500 Soles im Monat, das sind ca. 160 Dollar. Meine Wohnung kostet 500 Dollar pro Monat. Ich gebe im Monat locker 160 Dollar für Essen aus. Nicht zu reden von Kino, Kneipe, Sport, meinen vielen Reisen... Der Mann im braunen Pullover stammt aus Mollobamba, in der Selva Central, war aber seit über 40 Jahren nicht mehr dort, weil er das Geld für die Reise nicht hat.

Als ich heute Abend vom Büro nach Hause kam, hat er mich angesprochen. Mit Tränen in den Augen und gesenktem Blick, weil es ihm so peinlich war. Sein Bruder, der in Pucallpa in „sehr bescheidenen Verhältnissen lebt“, wie er mir erzählte, hat Krebs. Ein großer Tumor im Magen – so groß wie eine Faust. Er hat irre Schmerzen. Aber kein Geld für die Operation. In der Klinik in Pucallpa können sie ihn nicht operieren – für so eine komplizierte Sache muss er nach Lima kommen. Die Tochter des Bruders hatte den Mann im braunen Pullover angerufen und um Hilfe gebeten. Um Geld. Doch der Mann im braunen Pullover verdient ja selbst kaum das Nötigste zum Überleben. Und von dem kleinen Gehalt unterstützt er auch noch seine Mutter, die schon über 70 und selbst auch krank ist. Der Mann im braunen Pullover war verzweifelt genug, mich zu fragen, ob ich nicht helfen könnte. Ich arbeite doch für eine kirchliche Institution. Leider ist die Hilfe für sterbenskranke Brüder von Männern in braunen Pullovern in keiner der Misereor-Strategien vorgesehen. Diese Investition ist weder nachhaltig noch verändert sie irgendetwas an den miesen Strukturen, in denen dieses Drama stattfindet. Diese Investition ist extrem assistenzialistisch. Diese Investition hat mit Hilfe zur Selbsthilfe nichts zu tun – es ist allenfalls eine Hilfe zum besseren Sterben. Misereor hat für diese Art von Elend keinen Topf – und wenn, dann wäre er ständig leer. Ich habe dem Mann im braunen Pullover trotzdem versprochen, ihm zu helfen. Als Tochter von Eltern, die vom öffentlichen Gesundheitssystem in Deutschland unglaublich profitiert haben und nach wie vor profitieren, kann ich einfach nicht sagen „das geht mich nichts an“. Ich kann ein paar hundert Dollar dazugeben, dass sein Bruder operiert wird und vielleicht mit etwas weniger Schmerzen stirbt... Was sind schon ein paar hundert Dollar?
Wenn sonst noch jemand bereit ist, ein bißchen Geld mutwillig in den Sand zu setzen, dann lasst es mich wissen und überweist mir das Geld auf mein Konto Nr. 9365210, BLZ 60450050 bei der KSK Ludwigsburg. Eine Spendenbescheinigung kann ich Euch leider nicht ausstellen.
Und auch sonst ist das eine denkbar schlechte Investition, denn der Mann wird wahrscheinlich nicht mehr lange leben. Ich kann dann nur „Danke“ sagen.
Im Namen des Mannes im braunen Pullover,
Und seines Bruders.

Eure Sanne


 
Counter