Peru wählt
Wer also sind die neuen Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Amt im Staate?
Der "Newcomer" dieser Wahl und rasante Aufstieger ist Ollanta Humala. Er entstammt dem Militär, hatte bereits im Jahr 2000 versucht, Alberto Fujimori, den damaligen Präsidenten aus dem Amt zu putschen (was scheiterte) und greift neben radikalen Maßnahmen auch gerne zu radikalen Parolen. Wenngleich er aus einer wohlhabenden Familie stammt, gibt er sich den Anschein dessen, der mit dem armen Indiobauern auf dem Feld geackert hat und macht seine ethnische Zugehörigkeit (Mestize) zum Wahlkampfthema. Seine Partei nennt sich Union Nacionalista del Perú, und da dieser Nationalismus bei ihm immer auch mit ethnischen Themen einhergeht, befürchten viele, dass sich aus diesem Ethno-Nationalismus schnell ein Faschismus entwickeln könnte. Das Regierungsprogramm von Humala ist ein Potpourri, das ganz offensichtlich den Regierungsprogrammen der diversen, unter sich sträflicherweise total verstrittenen linken Parteien entnommenist. Was davon er tatsächlich umsetzen würde, läßt sich nicht sagen, da er keinerlei politische Vorerfahrung mitbringt. Die Alianzen, die er mit Evo Morales in Bolivien und Hugo Chávez in Venezuela knüpft, lassen aber ein paar Spekulationen zu. Parolen, die man von dort kennt, finden auch in Peru viele Sympathisanten. Ob seine Politik letztlich wirklich in die selbe Richtung gehen würde, bezweifeln viele, weil er – im Gegensatz zu Morales – noch nie eine goße Nähe zur peruanischen Bevölkerung hatte und auch nicht Führer einer Basisbewegung war, sondern Truppen im Kampf gegen den Sendero Luminoso befehligte und später dem militärischen Geheimdienst diente. Seine Wählerschaft findet Humala vor allem in den andinen Dörfern und Städten, in den Armensiedlungen Limas, in den von der Politik von jeher vergessenen Ecken Perus. Hoffen wir, dass Humala, wenn er die Wahl gewinnt – wonach es im Moment stark aussieht – die geweckten Hoffnungen dann auch wirklich erfüllen kann und es nicht bei leeren Stammtischparolen bleibt.
Ein vierter, leider gänzlich chancenloser Kandidat ist Valentin Paniagua. Nach monatelangem Gezeter im Vorfeld der Wahlen, mit welcher der antretenden politischen Gruppierungen man denn wohl eine Allianz eingehen könnte, hat seine Partei es geschafft, sich selbst zu diskreditieren, obwohl Valentin Paniagua nach Fujimoris Rücktritt im Jahr 2001 ein halbes Jahr hervorragend regiert hat: transparent, demokratisch, der Korruption den Kampf angesagt, einen Demokratisierungs- und Dezentralisierungsprozess eingeleitet und für viele andere positive Prozesse die Weichen gestellt hat. Für mich persönlich ist Paniagua der vertrauenswürdigste Kandidat – doch mit knapp 6 % kann seine Partei froh sein, wenn sie überhaupt den Einzug in’s Parlament schafft. So erstaunlich man das auch finden mag, wird doch an Paniaguas Fall auch am besten deutlich, dass nicht vernünftige Kriterien über den Wahlsieg entscheiden, sondern jede Menge irrationaler Überlegungen den Weg ins Präsidentenamt ebnen.
Susana Villarán, die Vertreterin der spöttisch als „Kaviar-Linke“ bezeichneten sozialdemokratischen Partei (PDS) hat so absolut keine Chance, mit ihrem guten Regierungsprogramm bei der Bevölkerung zu landen, dass es mich schmerzen würde, ihre guten Vorschläge hier aufzuschreiben. Susana Villarán gehört der reichen limeñischen Oberschicht an, die von der indigenen Bevölkerung als Unterdrücker und Ausbeuter, als Schmarotzer und Zerstörer ihrer ursprünglichen Kultur wahrgenomen wird, und die schon aufgrund ihrer Hautfarbe keine guten Voraussetzungen hat, ein Bein auf das Regierungsboot zu bekommen. Ihr Diskurs ist wohl zu vernünftig für die einen und zu gebildet, zu intelektuell oder schlicht nicht hörbar für die anderen.
Soweit also die zur Wahl stehenden Optionen.
Wenngleich die Umfragen momentan noch von Lourdes Flores angeführt werden, scheint es Vielen inzwischen mehr und mehr wahrscheinlich, dass Humala die Wahlen gewinnt, denn dort, wo kein Meinungsforscher hinkommt um die Wahlintention abzufragen, hat Humala den weitaus größten Rückhalt.
So sind wir hier also alle gespannt, was das peruanische Volk am 9. April entscheiden wird. Dieses Volk, das nicht EIN Volk ist, sondern aus vielen verschiedenen Gruppen und Völkern besteht – einer großen indigenen Mehrheit, die in den entscheidenden Machtzentren so gut wie nicht vertreten ist, aus einer ebenso großen Gruppe von Mesitzen, die sich pragmatisch und informell durch's Leben schlagen sowie aus einer reichen Oberschicht, die nach wie vor die Fäden und Geschicke des Landes weitgehend in der Hand hält. Die verschiedenen Amazonasvölker sind in der Wahrnehmung dieses peruanischen Volkes noch weniger existent als die "Serranos", die indigenen Völker der Anden. Kaum ein Präsidentschaftskandidat macht sich auch nur die Mühe, in den Dschungel hinabzufahren um diesen "Wilden" sein Regierungsprogramm zu erklären.
Wen verwundert es angesichts dieses Szenarios, wenn der radikale Humala mit seinem populistischen Diskurs den Nerv der armen Bevölkerungsschichten trifft und ausspricht, was Viele denken: dass diese Gesellschaft zutiefst ungerecht ist, dass sich etwas ändern muss, und zwar radikal, dass es nicht sein kann, dass ausländische Unternehmer sich die Bodenschätze mit nach Hause nehmen, während die Peruaner weiter bettelnd an der Straßenkreuzug stehen. Klare Worte für ein Volk, das nach wie vor an einem Bildungssystem leidet, das Analphabeten produziert, für ein Volk, das zu lange von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen war, das Demokratie nie erlebt und gelernt hat und deshalb mit der Selbstverantwortung einer demokratischen Wahl auch reichlich überfordert ist.
Schauen wir mal, wen (und somit auch was) Peru wählt.