Wandern zwischen den Welten....

01.04.06

Peru wählt

Am 9. April wählt die peruanische Bevölkerung ihren neuen Präsidenten wie auch die Abgeordneten für den Kongress. Der jetzige Präsident, Alejandro Toledo, der seit 2001 im Amt ist, tritt nicht mehr an, war doch sein Rückhalt in der Bevölkerung schon ein Jahr nach seinem Amtsantritt zuweilen auf unter 15 % gesunken.

Wer also sind die neuen Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Amt im Staate?

Da wäre zunächst mal die konservative und sehr unternehmerfreundliche Kandidatin Lourdes Flores zu nennen. Sie steht wohl am ehesten für eine Fortsetzung der jetzigen Politik, mit all ihren Stärken und Schwächen. Stärken in Bezug auf ein demokratisches Grundmuster, wenngleich dies von der in allen Bereichen grassierenden Korruption konterkariert wird, von einer nicht wirklich unabhängigen Presse, von einem Volk, das – ohne je in den Genuss einer Demokratie gekommen zu sein, die dem Namen Ehre macht, schon an einer lähmenden Demokratiemüdigkeit leidet. Neben der Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses, der mit ihr eine gewisse Kontinuität gewinnen könnte, steht Lourdes Flores vor allem für weiter positive Signale aus der Wirtschaft, die sich aber – auch hier knüpft sie an ihre Vorgänger an – auch unter ihrer Regierung wohl kaum in armutsmindernde Maßnahmen übersetzen werden – so dass die Wirtschaft also kräftig wächst, während der Großteil der Bevölkerung von diesem Wachstum nicht profitiert, sondern im schlimmsten Fall nur die negativen Nebeneffekte des rapdiden Wirtschaftswachstums ausbaden muss. Dies ist besonders im seit Jahren kräftig wachsenden Bergbausektor zu erwarten, wo das anhaltende Hoch der Weltmarktpreise für Gold, Silber, Kupfer und vielen anderen Metallen dazu geführt hat, dass der Abbau und damit die Exporte rasant angestiegen sind, während die bäuerlichen Gemeinschaften sich mit den Auswirkungen der Umweltverschmutzung herumschlagen müssen, mit den großen Unternehmen um die ohnehin knappe Ressource Wasser streiten und nur mit staunenden Augen zusehen können, wie ihre Lebensgrundlage zerstört und das Gold und andere Metalle außer Landes geschafft werden. Ein wirklicher Wandel in Bezug auf Armutsbekämpfung, mehr Investitionen in Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft sind von dieser Kandidatin nicht zu erwarten. Doch verglichen mit den anderen Optionen ist die Fortführung der bisherigen Politik vielleicht nicht die schlechteste Option....

Der "Newcomer" dieser Wahl und rasante Aufstieger ist Ollanta Humala. Er entstammt dem Militär, hatte bereits im Jahr 2000 versucht, Alberto Fujimori, den damaligen Präsidenten aus dem Amt zu putschen (was scheiterte) und greift neben radikalen Maßnahmen auch gerne zu radikalen Parolen. Wenngleich er aus einer wohlhabenden Familie stammt, gibt er sich den Anschein dessen, der mit dem armen Indiobauern auf dem Feld geackert hat und macht seine ethnische Zugehörigkeit (Mestize) zum Wahlkampfthema. Seine Partei nennt sich Union Nacionalista del Perú, und da dieser Nationalismus bei ihm immer auch mit ethnischen Themen einhergeht, befürchten viele, dass sich aus diesem Ethno-Nationalismus schnell ein Faschismus entwickeln könnte. Das Regierungsprogramm von Humala ist ein Potpourri, das ganz offensichtlich den Regierungsprogrammen der diversen, unter sich sträflicherweise total verstrittenen linken Parteien entnommenist. Was davon er tatsächlich umsetzen würde, läßt sich nicht sagen, da er keinerlei politische Vorerfahrung mitbringt. Die Alianzen, die er mit Evo Morales in Bolivien und Hugo Chávez in Venezuela knüpft, lassen aber ein paar Spekulationen zu. Parolen, die man von dort kennt, finden auch in Peru viele Sympathisanten. Ob seine Politik letztlich wirklich in die selbe Richtung gehen würde, bezweifeln viele, weil er – im Gegensatz zu Morales – noch nie eine goße Nähe zur peruanischen Bevölkerung hatte und auch nicht Führer einer Basisbewegung war, sondern Truppen im Kampf gegen den Sendero Luminoso befehligte und später dem militärischen Geheimdienst diente. Seine Wählerschaft findet Humala vor allem in den andinen Dörfern und Städten, in den Armensiedlungen Limas, in den von der Politik von jeher vergessenen Ecken Perus. Hoffen wir, dass Humala, wenn er die Wahl gewinnt – wonach es im Moment stark aussieht – die geweckten Hoffnungen dann auch wirklich erfüllen kann und es nicht bei leeren Stammtischparolen bleibt.

Der Oldie unter den zur Wahl stehenden Präsidentschaftskandidaten ist Alan Garcia, der unbeirrt alle fünf Jahre wieder zur Wahl antritt und in den Prognosen auch immer ganz gut abschneidet, obwohl er in den Jahren 1985-1990 bereits einmal eine Chance hatte, sein Regierungskönnen zu zeigen. Das Ergebnis seiner Politik waren eine galoppierende Inflationsrate um die 1000 %, schwere Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seine Regierungsmitglieder und Menschenrechtsverletztungen, um nur die Highlights zu nennen. Es ist erstaunlich, dass Alan Garcia sich überhaupt noch in der Öffentlichkeit sehen lassen kann und dass er noch dazu in den Prognosen fast 25 % einfährt – da drängt sich doch der Verdacht auf, dass man für seine Verbrechen in Peru mit Anerkennung gestraft wird. Für viele ist Alan García in dieser Wahl „el mal menor“, d.h. das geringste Übel. Immerhin weiß man bei Alan, was man zu erwarten hätte. Seine Partei, die APRA, ist die einzige Partei, die den Namen verdient – alles andere sind in Peru eher spontane politische Bewegungen, denen man eine Lebensdauer von maximal fünf Jahren prognostizieren kann. Und da die APRA in vielen peruanischen Regionen die Regierung stellt, ist sie auch auf nationaler Ebene nach wie vor ein ernstzunehmender Konkurrent.

Ein vierter, leider gänzlich chancenloser Kandidat ist Valentin Paniagua. Nach monatelangem Gezeter im Vorfeld der Wahlen, mit welcher der antretenden politischen Gruppierungen man denn wohl eine Allianz eingehen könnte, hat seine Partei es geschafft, sich selbst zu diskreditieren, obwohl Valentin Paniagua nach Fujimoris Rücktritt im Jahr 2001 ein halbes Jahr hervorragend regiert hat: transparent, demokratisch, der Korruption den Kampf angesagt, einen Demokratisierungs- und Dezentralisierungsprozess eingeleitet und für viele andere positive Prozesse die Weichen gestellt hat. Für mich persönlich ist Paniagua der vertrauenswürdigste Kandidat – doch mit knapp 6 % kann seine Partei froh sein, wenn sie überhaupt den Einzug in’s Parlament schafft. So erstaunlich man das auch finden mag, wird doch an Paniaguas Fall auch am besten deutlich, dass nicht vernünftige Kriterien über den Wahlsieg entscheiden, sondern jede Menge irrationaler Überlegungen den Weg ins Präsidentenamt ebnen.

Susana Villarán, die Vertreterin der spöttisch als „Kaviar-Linke“ bezeichneten sozialdemokratischen Partei (PDS) hat so absolut keine Chance, mit ihrem guten Regierungsprogramm bei der Bevölkerung zu landen, dass es mich schmerzen würde, ihre guten Vorschläge hier aufzuschreiben. Susana Villarán gehört der reichen limeñischen Oberschicht an, die von der indigenen Bevölkerung als Unterdrücker und Ausbeuter, als Schmarotzer und Zerstörer ihrer ursprünglichen Kultur wahrgenomen wird, und die schon aufgrund ihrer Hautfarbe keine guten Voraussetzungen hat, ein Bein auf das Regierungsboot zu bekommen. Ihr Diskurs ist wohl zu vernünftig für die einen und zu gebildet, zu intelektuell oder schlicht nicht hörbar für die anderen.

Soweit also die zur Wahl stehenden Optionen.

Wenngleich die Umfragen momentan noch von Lourdes Flores angeführt werden, scheint es Vielen inzwischen mehr und mehr wahrscheinlich, dass Humala die Wahlen gewinnt, denn dort, wo kein Meinungsforscher hinkommt um die Wahlintention abzufragen, hat Humala den weitaus größten Rückhalt.

So sind wir hier also alle gespannt, was das peruanische Volk am 9. April entscheiden wird. Dieses Volk, das nicht EIN Volk ist, sondern aus vielen verschiedenen Gruppen und Völkern besteht – einer großen indigenen Mehrheit, die in den entscheidenden Machtzentren so gut wie nicht vertreten ist, aus einer ebenso großen Gruppe von Mesitzen, die sich pragmatisch und informell durch's Leben schlagen sowie aus einer reichen Oberschicht, die nach wie vor die Fäden und Geschicke des Landes weitgehend in der Hand hält. Die verschiedenen Amazonasvölker sind in der Wahrnehmung dieses peruanischen Volkes noch weniger existent als die "Serranos", die indigenen Völker der Anden. Kaum ein Präsidentschaftskandidat macht sich auch nur die Mühe, in den Dschungel hinabzufahren um diesen "Wilden" sein Regierungsprogramm zu erklären.

Wen verwundert es angesichts dieses Szenarios, wenn der radikale Humala mit seinem populistischen Diskurs den Nerv der armen Bevölkerungsschichten trifft und ausspricht, was Viele denken: dass diese Gesellschaft zutiefst ungerecht ist, dass sich etwas ändern muss, und zwar radikal, dass es nicht sein kann, dass ausländische Unternehmer sich die Bodenschätze mit nach Hause nehmen, während die Peruaner weiter bettelnd an der Straßenkreuzug stehen. Klare Worte für ein Volk, das nach wie vor an einem Bildungssystem leidet, das Analphabeten produziert, für ein Volk, das zu lange von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen war, das Demokratie nie erlebt und gelernt hat und deshalb mit der Selbstverantwortung einer demokratischen Wahl auch reichlich überfordert ist.

Schauen wir mal, wen (und somit auch was) Peru wählt.


 
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