Wandern zwischen den Welten....

06.10.05

Nicht viel "Ur" und auch nicht mehr viel Wald....


Donnerstag Abend, ich bin vor zwei Stunden aus dem Flugzeug gestiegen, habe mich mit dem Taxi den immer wieder auf’s Neue irgendwie sehr wenig einladend wirkenden Weg vom Flughafen zu meiner Wohnung kutschieren lassen, die Reisetasche in die Ecke gestellt, mir zur Feier des Abends ein Glas leckeren Rotwein eingegossen... und mich an den Computer gesetzt! Zu Hause. Wie schön! Ich bin zurück im chaotischen Lima, dieser Stadt, die sich dem Ankommenden so unglaublich abweisend präsentiert und die doch meine Heimat ist, zumindest im Moment....

Die ersten Stunden nach einer Reise sind immer die besten, um die Eindrücke der letzten Tage nochmal Revue passieren zu lassen, um im Geiste nochmal zurückzufliegen in den peruanischen Urwald, um die vielen Begegnungen noch einmal vor dem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen. Denn während die Seele sich erst noch ihren Weg nach Lima bahnen muss und irgendwo zwischen dem heißen, subtropischen Tarapoto und dem nach wie vor neblig-grauen Lima herumfliegt, während ich nicht mehr ganz dort aber auch noch nicht wirklich hier bin, sind die Erinnerungen noch lebendig, die Farben leuchten noch, ich habe die Gerüche noch in der Nase, die Geräusche klingen noch nach, auch die Gespräche sind noch präsent und es hat sich noch kein Alltag zwischen diese vielen, eindrücklichen Bilder und Gespräche gelegt.... es drängt mich in diesen Momenten immer sehr, etwas von meinen Gedanken zu Papier – oder besser gesagt zu Computer – zu bringen.... ein Impuls, dem ich folge, so oft ich kann, denn er hilft mir, mich zu erden, hilft mir beim Ankommen und läßt mich noch für eine Weile vergessen, dass ich wieder alleine bin in meiner Wohnung in Lima.

Meine soeben beendete Reise hat mich in den peruanischen „Urwald“ geführt, genauer gesagt nach Yurimaguas und Moyobamba, beides mittelgroße Städte in der Region San Martin, in einer Landschaft, die sich malerisch „Augenbraue des Urwalds“ nennt. Es handelt sich um die Osthänge der Anden, die regenreich und tropisch warm sind und an denen sich grüne Wälder Richtung Amazonasbecken erstrecken. Die Städte dort sind lebendig, quirrlig, laut. Die Menschen sehen anders aus als in Lima, und erst recht anders als im Hochland der Anden. Als ich in Tarapoto aus dem Flugzeug steige, fühle ich mich mit einem Schlag nach Afrika versetzt – der Duft von feuchter, warmer Erde, die heiße Sonne, die von Blütenduft, Früchten und Holzfeuer schwere Luft schlagen mir entgegen und ich bin ganz benommen von den vielen Sinneseindrücken. Mein Kollege Juan lacht, ich sei wohl nach der stinkenden Abgasluft Limas nun ganz „besoffen vom vielen Sauerstoff“ – und ich glaube, er hat recht!

Dies ist meine erste Reise in die peruanische Selva – die Bezeichnung „Urwald“ allerdings hat ihre Berechtigung längst schon verloren, wie ich in den nächsten Tagen immer und immer wieder sehen und hören werde. Von UR... ist hier nicht mehr viel zu spüren, wenngleich zum Glück noch etwas Wald zurückgeblieben ist. Die „Augenbraue“ des Urwalds hat in den letzten 20 Jahren eine heftige Rasur erlitten und gleicht inzwischen an vielen Stellen nurmehr einem Stoppelfeld. Grund für den radikalen Kahlschlag sind neben den massiv vordringenden, internationalen Holzkonzernen auch die in Heerscharen und wie Heuschrecken über das Land herfallende Kleinbauern, die den Wald als unerschöpfliche Quelle betrachten und rausholen, was rauszuholen geht. Sie kommen aus den kargen Höhen der Anden ins Amazonasland, seit vielen Jahren schon und in großer Zahl, besetzen illegal große Landflächen oder pachten zu einem Spottpreis von den indigenen Völkern, die zwar die Landtitel besitzen, sie aber oftmals nicht zu schützen wissen. Bauern aus Cajamarca oder anderen Teilen Nordperus kommen auf der Suche nach fruchtbarem Land, sie holzen den Wald ab und legen Felder an – Reisfelder größtenteils, die durch die extensiven Anbaumethoden schon nach wenigen Jahren total ausgelaugt sind und dann landwirtschaftlich kaum mehr nutzbar sind. Auch Kaffee, Kakao, Palmherzen, Palmöl oder Zitrusfrüchte werden angebaut – und dort, wo Monokulturen sich breit machen, heißt das auch immer radikale Ausbeutung der Ressourcen. Zurück bleibt unfruchtbares Land, trocken, ohne Bäume, ohne Büsche, der Wüstenbildung preisgegeben. Ist das Feld abgeerntet, kommt das Feuer – die Bauern brennen die Reishalme ab, um das Feld „zu säubern“ – eine Praxis, die in Peru zwar schon seit geraumer Zeit verboten ist und aufgrund der anhaltenden Trockenheit im „Urwald“ jüngst zu großen Waldbränden führte. Doch keiner schert sich um die überall schwelenden Feuer, es gibt keine Strafen und so setzt sich diese Praxis weiter fort. Gibt das Feld nach ein paar Jahren absolut nichts mehr her, holzen die Bauern weitere Waldbestände ab, legen neue Felder an, bauen dort ihren Reis an oder andere, meist für den Export bestimmte Produkte – bis die Felder wieder ausgelaugt sind... und so geht es weiter, weiter, weiter... bis vom Urwald kein Wald mehr übrig bleibt, und schon gar kein „Ur“-Wald.

Es ist ein erschreckender Prozess, der schier unaufhaltbar zu sein scheint, auch wenn inzwischen am Straßenrand Schilder dazu auffordern, den Wald zu schützen, oder kein Feuer zu legen. Gleich hinter einem dieser Schilder steigt eine große, schwarze Rauchwolke in den Himmel – es erscheint mir wie ein bitterer Zynismus, dieser offenkundige Widerspruch zwischen Theorie und Praxis.

Das Gespräch mit dem Beauftragen für Umweltschutz in der Regionalregierung von San Martin bringt auch wenig Hoffnung – erstens ist er durch den x-ten Regierungswechsel, der jedesmal auch einen Austausch der gesamten Funktionäre in der Regierung mit sich bringt, erst seit 8 Tagen im Amt und muss sich erst mal eindenken, einarbeiten, die Pläne seines Vorgängers umformulieren und seinen Vorstellungen anpassen. Vermutlich ist er spätestens zu diesem Zeitpunkt auch schon wieder aus dem Amt verschwunden, weil ein Wechsel des Regionalpräsidenten mal wieder zum Austausch sämtlicher Funktionäre führt. Wenn sich aber die Regierung ausnahmsweise mal länger als ein Jahr im Amt halten sollte und er mit seiner Arbeit weiter als bis zum obligatorischen „Umplanen“ kommt, dann werden die Strategien, die er uns freudestrahlend präsentiert, wohl auch nicht den großen Umschwung bringen: der Beamte hofft in erster Linie auf die erfolgreiche Umsetzung neuer Gesetze und Anordnungen der Regierung, und präsentiert uns auch gleich freudestrahlend irgendeine „ordenanza“, die demnächst vom Umweltausschuss diskutiert und dann in Kraft treten soll.... doch welches Gesetz wäre in Peru nicht schon erfolgreich umgangen worden? Gerade dort, wo mächtige ökonomische Interessen im Spiel sind, ist das Papier, auf dem die peruanischen Gesetze geschrieben sind, besonders geduldig. Die Umweltgesetzgebung Perus ist nicht schlecht – aber die praktische Umsetzung ist eine Katastrophe (siehe oben erwähnte Brandrodungen). Angefangen von sich widersprechenden Landkarten und Katastern zu Landtiteln über korrupte Funktionäre, die weiter im großen Stil und unter dem Tisch Konzessionen zum Abholzen an internationale Konzerne verscherpeln, über Naturparks, in denen illegale Siedler große Felder anlegen bis hin zu den Cocabauern, die ihre verbotenen Züchtungen in den abgelegeneren Ecken des Waldes verstecken, tummelt sich in der peruanischen Selva alles, was irgendwie Geld aus dem grünen Dschungel ziehen will – und die Gesetzgeber und Ordnungshüter scheren sich recht wenig um die schönen Gesetze und zahlreichen Anordnungen zum Schutz des Regenwalds. Im Gegenteil – um dem Sarkasmus noch die Krone aufzusetzen, zeigt die peruanische Regierung weiter eifrig ihre Fernsehspotts, in denen der Urwald als das grüne El Dorado Perus angepriesen wird – nach dem Motto: gehet hin und labet Euch alle an den reichen Schätzen der Natur, die dort im Überfluss vorhanden sind und nur darauf warten, in Geld verwandelt zu werden.

Im Gespräch mit unserer Partnerorganisation, die in der Region vor allem die Rechte der indigenen Völker verteidigt, sich stark macht für die Einhaltung internationaler Konventionen zum Schutz der Amazonasvölker, die Menschenrechte verteidigt und kulturelle Rechte einklagt, sinkt unser Mut noch weiter. Ein Blick auf die Landkarte mit den bereits vergebenen Konzessionen zum Abholzen des Regenwaldes – nicht nur in Peru, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus in Kolumbien, Brasilien und Ecuador – zeigt, dass der gesamte Amazonas quasi schon verkauft ist. Kaum ein Flecken, der nicht schon zur Ausbeutung freigegeben wäre. Und es braucht wenig, um uns von der Richtigkeit dieser Dokumente zu überzeugen: Überall in der Region begegnen uns große LKWs mit Holzladungen, fahren Boote beladen mit den Stämmen riesiger Bäume die vielen Flüsse hinab Richtung Brasilien.

Der Amazonas war einst die Lunge der Erde, ein wilder, grüner Dschungel, doch was davon übrigbleibt, sind landwirtschaftliche Nutzflächen, kahlrasierte Hügel, versteppte Landschaften. Doch die Tage der „Grünen Hölle“ sind gezählt, und ich fühle mich machtlos in Anbetracht der vielfältigen Probleme hier, der sich widesprechenden Interessen von Holz- und Ölkonzernen, von Kleinbauern und indigenen Völkern, von Naturschützern und Abenteurern, von Touristen und Drogenmafia.

Der radikale Kahlschlag bleibt nicht ohne Folge – die Regenfälle bleiben in der Region bereits aus, die Erde verwüstet, die Sonne brennt gnadenlos auf die ausgelaugten Böden. Ein riesengroßer Waldbrand frisst sich in den Wald, und die peruanischen Behörden sind darauf nicht vorbereitet. Nie zuvor hatte der Regenwald in solchen Ausmaßen Feuer gefangen.

Auch in den anderen Ländern unserer wird sich dieser massive Eingriff in die Natur rächen – erst neulich habe ich im Spiegel gelesen, dass die Erwärmung der Erde derzeit schneller voranschreitetals je zuvor.

Wir sprechen mit vielen verschiedenen Menschen in dieser Woche in Tarapoto, Yurimaguas und Moyobamba. Mit NGOs, mit einem engagierten Bischof, mit Vertretern von Eingeborenenorganisationen, die um den Schutz ihrer Heimat kämpfen. Wir sprechen mit Regierungsvertretern, Bürgermeistern und Menschenrechtlern, mit Anwälten und Journalisten.

Es ist immer das gleiche Lied, es sind immer die gleichen Probleme.... Doch. Ja. Es gibt auch Lösungsvorschläge, Ideen, Konzepte, Strategien, Papiertiger. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen von der Lösung. Alle Organisationen, Institutionen und Interessengruppen haben Vorschläge. Und viele dieser Vorschläge sind gar nicht schlecht. Doch wo fließen diese fielen Vorstellungen zusammen in eine kohärente Strategie und gelebte Realität zum Schutz des Amazonas? Und wer wacht darüber, dass die Maßnahmen auch konsequent umgesetzt und nicht von verschiedensten Seiten unterlaufen werden?

Die Hoffnung nicht aufgeben. Weiterkämpfen. Weiter unterstützen. Weiter an das Unmögliche glauben... Vielleicht wird aus den vielen kleinen Ansätzen, aus den zahlreichen kleinen Steinchen irgendwann doch noch ein Mosaik, das sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt?? Im Moment habe ich leider vielmehr das Gefühl, dass hier viele Köche einen ungenießbaren Brei zusammenrühren, der gekocht wird auf einem Lagerfeuer aus edlen Harthölzern aus dem Amazonas....

Und während noch viele, viele Gedanken in meinem Kopf herumgeistern, die ich gar nicht alle aufschreiben kann, ergreift mich allmählich die große Müdigkeit. Vielleicht kann ich ja morgen wieder optimistischer denken, wenn meine Seele auch wieder hier in Lima eingetroffen ist, wenn ein bißchen Alltag zwischen den Erfahrungen der vergangenen Woche und meinen heutigen Gedanken liegt...? Oder vielleicht sollte ich einfach ganz mit dem Nachdenken aufhören, meinen Wein zu Ende trinken und in’s Bett gehen....

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