Wandern zwischen den Welten....

11.12.06

Starke Frauen

Am Donnerstag bin ich mit unserer Partnerorganisation ARARIWA in Cusco raus „auf’s campo“ gefahren, wie das hier so schön heißt. Es geht mal wieder in aller Herrgottsfrühe los. Um 6 stehe ich startklar am Hoteleingang.... und warte und warte und warte... Ganz so herrgottsfrüh ist es schließlich doch nicht mehr, als wir endlich losfahren. Die peruanische Uhr tickt ja bekanntermaßen anders, und so fahren wir also um kurz nach halb sieben los Richtung „Cuatro Lagunas“, hinauf auf 3800 m über dem Meer.

Die Besuche bei Partnerorganisationen verlaufen immer nach einem ähnlichen Strickmuster: im Auto erzählt mir der Projektleiter etwas über die Geschichte des Projekts, seit wann die Institution in dieser Gegend arbeitet, mit welchem Ansatz, mit welchen Zielgruppen, mit welchem Ziel und welchen Aktivitäten. Das alles steht natürlich auch in der Misereor-Projektbeschreibung. Aber ich nutze gerne die Gelegenheit, um Fragen zu stellen und mir ein plastischeres Bild von dem Projekt zu machen. Die Fahrt dauert knapp 3 Stunden, genug Zeit, um viele Fragen zu stellen und außerdem die schöne Landschaft zu genießen. Die Fahrt führt zunächst ein gutes Stück durch’s grüne, fruchtbare Tal, dann über eine wacklige Brücke auf die andere Seite des Flusses und hinauf ins Hochland, über eine leidlich ausgebaute Piste. Allradantrieb ist hier oben Pflicht, sonst kommt man schnell in Bedrängnis... Gegen halb zehn kommen wir an, und es beginnt der Besuch vor Ort, der Kontakt mit den "Zielgruppen", wie das im schnöden Projekt-Jargon heißt; und die Besichtigung dessen, was die Partnerorganisation vor Ort, in den Dörfern und auf den Feldern, mit der Bevölkerung veranstaltet.

Das Ziel unserer Fahrt heißt in diesem Fall Sangarara und wir treffen hier eine Gruppe von Frauen, die allesamt Vorsteherinnen verschiedener Frauengruppen sind und sich wiederum auf Betreiben von ARARIWA hin zu einem großen Landfrauenverband auf Distriktebene zusammengeschlossen haben. Wir sitzen alle in einem großen Kreis auf den kleinen Kinderschemeln in der Dorfschule – die Frauen in ihren bunten Röcken und Strickjacken, mit den runden Hüten auf dem Kopf und ihren Kindern im Tragetuch auf dem Schoß. Ich mit Wanderschuhen, Goretex-Anorak und einem modernen Rucksack. Ein schräger Anblick... Es fühlt sich auch etwas schräg an, zumindst am Anfang. Aber das ändert sich schnell....

In der traditionellen andinen Dorfgemeinschaft haben Frauen nicht viel zu melden. Sie haben die zahlreichen Kinder zu gebären und aufzuziehen, sich um den Haushalt zu kümmern, Schafe zu hüten, das Essen zu kochen, das Brennholz zu beschaffen, bei der Ernte zu helfen und ansonsten den Mund zu halten. Das Mitspracherecht für Frauen muss in diesen Dorfgemeinschaften häufig erst aus der Wiege gehoben werden. Und genau das hat sich ARARIWA zum Ziel gesetzt. Neben den landwirtschaftlichen Beratungsprogrammen zur nachhaltigen ländlichen Entwicklung machen sie gezielt Kurse zur Frauenförderung. In diesen Kursen lernen die Frauen, Mehrschweinchen und Hühner zu züchten und sie auf dem Markt zu verkaufen, so dass sie auch zum Einkommen der Familie beitragen können, was traditionell dem Mann vorbehalten ist. Sie beschäftigen sich mit Nahrungssicherung, dem Anlegen von Gemüsegärten, mit hauswirtschaftlichen Themen, mit Hygiene- und Gesundheitsfragen.

Die regelmäßigen Treffen und der Austausch mit anderen Frauen alleine stellen schon ein stärkendes Element dar.Plötzlich nehmen die Frauen wahr, dass sie alle die gleichen Sorgen und Nöte haben, der Austausch tut ihnen gut, sie stärken und helfen sich gegenseitig und treten aus ihrer Isolation heraus. In den Kursen diskutieren sie über Gleichberechtigung, und wie sie dieser in ihrem Alltag Schritt für Schritt näherkommen können. Während die Frauen ihre Teilnahme an den Kursen zu Beginn häufig eisern gegen den Widerstand und zum Teil auch die Schläge des Mannes durchsetzen müssen, wird es spätestens dann einfacher, ihre neuen Interessen und außerhäusigen Tätigkeiten zu rechtfertigen, wenn dadurch das Familieneinkommen steigt.

Inzwischen besteht das Projekt seit 3 Jahren, und die Frauen erzählen mir stolz, was sich in ihrem Leben alles verändert hat: „Zuerst wollte mein Mann mich nicht zu den Versammlungen gehen lassen und hat mich geschimpft und geschlagen. Aber ich lasse mich nicht mehr einschüchtern! Ich weiß jetzt, dass wir Frauen die gleichen Rechte haben, wie die Männer! Ich bin jetzt eine aufgeklärte Frau und lasse mir nicht mehr alles von meinem Mann vorschreiben. Und seit ich mit meiner Mehrschweinchenzucht Geld verdiene, schickt mein Mann mich sogar selbst immer zu den Versammlungen, damit ich auch ja nichts verpasse!“

Auch an den Prozessen zur Bürgerbeteiligung nehmen die Frauen inzwischen aktiv teil, was hier oben in den Dörfern einer kleinen Revolution gleichkommt! Und nicht nur das, sie beanspruchen für ihre Ideen und Projekte auch einen Teil des Gemeindebudgets. Am Anfang ernteten sie nur Spott und höhnisches Gelächter. Inzwischen haben die Männer begriffen, dass sie die Frauen ernst nehmen müssen und ein von Jahr zu Jahr größer werdender Teil des öffentlichen Haushalts auf Dorfebene geht inzwischen an die von den Frauen eingebrachten Projekte. Eine Frau sitzt inzwischen sogar im Gemeinderat und bringt dort die Sichtweisen und Interessen der Frauen ein.

Sind die Campesinas anfangs noch schüchtern und zurückhaltend mir fremden "Gringa" gegenüber, werden sie im Lauf des Gesprächs immer offener und ausgelassener. Jede Bäuerin möchte erzählen, was sich bei ihr zu Hause verändert hat, seit sie an den Fortbildungen teilnimmt, was sie gelernt hat und wie sie bei jedem Treffen Neues dazulernt.

Und als ich sie frage, was sich die Frauen für die Zukunft wünschen, sagen sie unisono: „Wir wünschen uns, dass die Leute von ARARIWA uns noch lange unterstützen und uns noch Vieles zeigen und lehren.“ Und sie bitten mich, doch dafür zu sorgen, dass diese Unterstützung nicht abbricht...

Es ist eine Freude, mit diesen Frauen zu sprechen, sie lachen zu sehen, den Übermut in ihren Augen blitzen zu sehen. Dass sie nicht richtig spanisch sprechen und lieber auf’s Quechua zurückgreifen, finden sie auch nicht mehr so peinlich, als ich ihnen gestehe, dass ich mit dem Spanischen auch oft genug zu kämpfen habe und ihnen ein paar Sätze in meiner deutschen Muttersprache sage, die bei ihnen heftiges Gekicher und Gelächter auslösen....

Am Ende des Gesprächs will mir am liebsten jede Frau ihren Gemüsegarten zeigen, ihre Mehrschweinchenzucht, die Neuerungen in der Küche und die Handarbeiten, die sie herstellt....

Der Abschied fällt mir schwer, weil uns über alle kulturellen, sprachlichen und traditionellen Unterschiede hinweg doch klar wurde, dass uns eines verbindet:

Wir alle sind STARKE FRAUEN !!!!


 
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