Wandern zwischen den Welten....

21.09.06

Die deutsche Einwanderungsdebatte aus der Fremde betrachtet

Seit Jahren führt man in Deutschland relativ ratlos, aber nicht ohne Eifer die immer gleiche Debatte über Einwanderer, über deren Integration, versteht man darunter nun die völlige Assimilation oder lediglich die Akkulturation, über die Möglichkeit oder Unmöglicheit einer „multikulturellen Gesellschaft“. Eine der neueren Ideen in der Einwanderungsdebatte besteht nun also darin, die potenziellen Einwanderer, noch bevor sie richtig da sind, schon mal auf ihre Deutschland-Kompatibilität zu überprüfen: Kann er ausreichend deutsch? Kennt sie die wichtigsten deutschen Flüsse? Wie ist es um die Kenntnisse in deutscher Geschichte bestellt? Teilen sie auch wirklich unsere freiheitlich-demokratische Gesinnung? Kennt sie die deutsche Verfassung? Ist sie bereit, ihr Kopftuch abzulegen und ist er bereit, seine Frau als eigenständige Persönlichkeit zu akzeptieren? Der Katalog von Fragen ist lang und an vielen Stellen auch einigermaßen skurril...

Ob derlei Tests wirklich zur Integration beitragen können, halte ich persönlich für fragwürdig. Als ich im Kreis meiner deutschen Freunde neulich versuchte, den aus 100 Fragen bestehenden Einwanderungstest zu bestreiten, mussten wir alle feststellen, dass wir von Glück sagen können, dass wir die deutsche Staatsbürgerschaft schon in der Tasche haben, denn sonst könnte unsere Rückkehr nach Deutschland schwierig werden...

Meine deutschen Freunde und ich leben und arbeiten in Peru. Wir machen hier gerade die umgekehrte Erfahrung – wie ist es, als Ausländer in einer fremden Kultur zu leben. Wie ist es um unsere Peru-Kompatibilität bestellt? Wir alle sprechen mehr oder weniger fließend spanisch, wir alle haben uns vor unsrer Ausreise irgendwie auch mit der peruanischen Geschichte auseinandergesetzt, wir kennen die wichtigsten Flüsse und höchsten Berge in Peru, und wenn die neue Regierung sich mal konsolidiert hat, werden wir auch die Namen der wichtigsten Politiker kennen. Trotz all dieser Kenntnisse erleben wir uns keineswegs als voll integrierte Mitglieder der peruanischen Gesellschaft. Ganz im Gegenteil: Je länger ich hier bin, um so mehr merke ich, wie deutsch ich bin und wieviel mir dieses Deutschsein bedeutet, wie schwer es fällt, mich von meinen deutschen Wertvorstellungen und kulturellen Prägungen zu verabschieden und dem peruanischen Wertemodell unvoreingenommen zu begegnen.

Auch die Peruaner sehen uns natürlich nicht als ihresgleichen an. Vielleicht, weil wir nicht bereit sind, unsere Vorliebe für Vollkornbrot und Speisequark zu verleugnen? Oder liegt es an den Bioprodukten, denen wir hier wie Trüffelschweine nachspüren? Liegt es daran, dass wir im peruanischen Straßenverkehr immer noch viel zu häufig die Hände über dem Kopf zusammenschlagen (und sei es nur im Geiste). Vielleicht werde ich nie verstehen, warum die Peruaner mitten auf dem Kreisverkehr eine Verkehrsampel installieren, oder warum die Autobahnausfahrt nicht vor, sondern hinter der Autobahnauffahrt liegt, so dass das Chaos vorprogrammiert ist. Es gibt tausende solcher Beispiele... Zu vieles der uns umgebenden Welt ist uns nach wie vor fremd. Nach bald zwei Jahren in Peru habe ich inzwischen große Zweifel an dem in Deutschland so vehement geforderten Integrationsanspruch und füge mich immer bereitwilliger in mein Leben in einer deutsch-peruanischen Parallelwelt.

Meine Versuche, mit gleichaltrigen Peruanern Freundschaften zu knüpfen, endeten oft im Frust. Die Leute in meinem Alter haben Kinder und widmen sich in ihrer Freizeit ihrer Familie. Da ist es schwer, als Außenstehender reinzukommen. Freundschaften mit Männern sind unmöglich, wenn man nicht auch an einem Techtelmechtel interessiert ist, worüber wiederum die Ehefrau eifersüchtig wacht. Peruaner gestalten ihre knappe Freizeit häufig ganz anders als wir Deutschen – während wir am Wochenende die Umgebung erkunden, Ausflüge machen, zu sportlichen oder kulturellen Aktivitäten aufbrechen, verbringen viele Peruaner die Wochenenden im Kreis der Familie und nicht selten einfach vor der Glotze. Die Arbeitsfähigkeit für die nächste Woche wird mit Nicht-Aktivität wieder hergestellt. Wir Deutschen verfolgen die umgekehrte Strategie und suchen in anderen Aktivität den Schwung für den Arbeitsalltag. So kommt es also, dass wir uns regelmäßig am Wochenende zusammenrotten und unsere aus Deutschland mitgebrachte Lebenskultur pflegen: wir kochen gemeinsam, fahren in die Umgebung und machen Picknicks, besuchen gemeinsam Kulturveranstaltungen oder schauen uns am Sonntag Abend den aus dem Internet gezapften Tatort an. Wir reden über unsere Erfahrungen hier und schütteln den Kopf über so Vieles, was wir nicht verstehen können. Wir versuchen die peruanische Kultur zu analysieren und zu verstehen und genießen es gleichzeitig, unter Menschen zu sein, die gleich denken, ähnlich empfinden, die mit den gleichen Herausforderungen kämpfen und sich oft ähnlich fremd fühlen in diesem Land.

Oft denke ich bei unseren deutschen Zusammenkünftenan die großen, lautstark lachender und türkisch redender Gruppen türkischer Familien, die ich früher oft am Wochenende mit Börek und Airan in den Stadtparks von Stuttgart grillen sah.

Betrachte ich aus dieser meiner deutsch-peruanischen Perspektive die Einwanderungsdebatte in Deutschland, dann frage ich mich oft, was wir den in Deutschland lebenden Ausländern eigentlich abverlangen? Am besten sollen sie sich, noch bevor sich richtig in Deutschland angekommen sind, schon wie Deutsche verhalten. Sie sollen wie Deutsche sprechen, denken und fühlen. Sie sollen sich der deutschen Kultur verpflichtet fühlen und dafür ihre eigene Kultur ablegen, als ob man die ablegen könnte wie ein zu eng gewordenes Kleidungsstück.

Noch immer werden in Deutschland Türken, Kroaten oder Griechen dafür moralisch verurteilt, dass sie sich nicht „integrieren“, dass sie lieber unter sich bleiben und ihre eigenen Lebensgewohnheiten pflegen. Doch was mache ich hier in Lima? Wenn man noch dazu bedenkt, dass ich freiwillig, aus reiner Abenteuerlust hier bin, während viele Immigranten nach Deutschland gehen, weil sie in ihrem Herkunftsland keine Zukunft sehen, dann wirft das für die Anpassungswilligkeit und –fähigkeit noch weitere Fragen auf.

Ich frage mich oft, wie Integration funktionieren kann? Es kann jedenfalls kein einseitiger Prozess sein. Meine peruanischen Freundinnen und Freunde, die es durchaus auch gibt, zeichnen sich durch außergewöhnliche Fremdenfreundlichkeit aus, durch eine überaus große Neugier und Offenheit für das Andere, das Fremde. Durch einen weiten Horizont, der bereit ist, sich auf mein Anderssein einzulassen. Nicht selten sind es Peruaner, die selbst mal eine Weile im Ausland gelebt haben und dort erfahren haben, was das bedeutet: fremd zu sein in einer Gesellschaft, den Verhaltenskodex nicht so richtig zu beherrschen und sich immer ein bißchen wie ein grünes Marsmännchen auf dem Oktoberfest zu fühlen. Wieviele Deutsche bringen den in Deutschland lebenden Ausländern diese Neugier und Offenheit entgegen, reichen ihnen die Hand und sagen „wie schön, dass Du hier in meinem Land lebst!“?

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