Wandern zwischen den Welten....

12.11.06

Esquina bajaaa !!!

Busfahren in Lima gehört definitiv zu den unterhaltsamsten und abenteuerlichsten Unternehmungen, denen man sich in dieser Stadt aussetzen kann. Es fängt damit an, dass der Lima-Unkundige schon gar nicht weiß, welchen Bus er denn aus dem enorm großen Angebot eigentlich auswählen soll. Busse gibt’s nämlich viele! Sehr viele!! Die Straßen sind voll davon – gestopft voll, sozusagen. Die Busse heißen hier Combis und sind in ihrer großen Mehrzahl im Besitz von privaten Busunternehmern.

Früher fuhren diese Combis durch die Straßen von Tokio, Shanghai oder Peking, was sich noch aus den chinesisichen bzw. japanischen Aufschriften im Businnern ersehen läßt. Nach ihrem ersten Leben in Asien sind sie nun also in Peru gelandet und drehen hier fleißig ihre Runden. Und diese Runden kennt man - oder man kennt sie eben nicht. Auf dem Trittbrett eines jeden Busses hängt eine Art transportabler Marktschreier, der bei halb aufgeklappter Tür aus dem Bus hängt und lauthals die Route auf die Gehsteige brüllt. Das hört sich dann ungefähr so an: „Todoarrrrequiipabennnnavideslarrrrcolarrrrrcobenavidesssssssssstodo-
arrrequipalarcomarbenavidesssssssslarcolarrrrcoooooo!“ Nichts verstanden??? Gut :-)
....dann passt die Beschreibung ja! Man kann diesen mit heißerer Stimme gebrüllten Kauderwelsch aus Straßennamen und anderen städtischen Referenzpunkten nämlich beim besten Willen nicht verstehen. Das muss so sein!!! Wer also selbstverständlich kein Wort versteht, kann fragen, oder einfach einsteigen und sehen, wo das Abenteuer ihn hinführt.

Fairerweise muss ich vielleicht schon noch dazu sagen, dass außen auf dem Bus die Fahrtrichtung angegeben ist – allerdings für Lima-Unkundige in einer Art kryptischer Verrschlüsselung, so dass es letztlich nur für den hilfreich ist, der sich ohnehin auskennt. Man muss zum Beispiel schon wissen, dass „Arequipa“ in keinster Weise bedeutet, dass der Bus nach Arequipa fährt, sondern in die Avenida Arequipa in Miraflores. Für einen Sol kann man ja auch nicht mehr erwarten!!! Außerdem dämmert auch dem dämlichsten Lima-Unkundigen ziemlich schnell, dass mit den Aufschriften auf den Bussen irgendwas faul ist, wenn er auf dem nächsten Bus dann „Brasil“ lesen kann – womit natürlich nicht Brasilien gemeint ist, sondern die Avenida Brasil, die vom Zentrum in Lima über Pueblo Libre bis runter zum Meer führt. Logisch!!

Hat man also mal einigermaßen ausgeklügelt, welcher Bus in welche Richtung fährt und sich dafür entschieden, sich tatsächlich auf diese Fahrt einzulassen, dann kann man den entsprechenden Bus an jeder, wirklich jeder!!! beliebigen Stelle anhalten und sicher sein, dass der Busfahrer alles tun wird, um einen auch wirklich an Bord zu nehmen. Für einen zahlenden Fahrgast bremst man doch gerne mal ein paar Dutzend Autos aus oder schert kurz vor einem auf der rechten Fahrspur rasenden Combi ein um dann eine richtig schöne, fette und punktgenaue Vollbremsung hinzulegen, die die Fahrgäste in beiden Bussen durcheinanderwirbelt wie Popcorn in der Maschine. DAS ist wahrhafter „Dienst am Kunden“.

Kaum hat man den Fuß auf dem Trittbrett, nimmt der Bus seine rasende Fahrt auch wieder auf und man hangelt sich wie ein Affe durch den Bus zu einem hoffentlich noch freien Sitzplatz, sich dabei krampfhaft an Sitzen, Fensterscheiben oder anderen Fahrgästen festklammernd..... Immer schön festhalten ist wichtig, denn die nächste Vollbremsung könnte schon an der nächsten Ecke lauern!!

Und weiter geht die Fahrt, immer schön drauf mit dem Fuß auf’s Gaspedal und schnell noch rüber über die Kreuzung, bevor man die Ampel endgültig als rot interpretieren muss, weil sich von der anderen Seite der Verkehr in die Kreuzung drängt!

Den Bus, der uns eben noch so unverschämt ausgebremst und uns einen Fahrgast direkt vor der Nase weggeschnappt hat – dem zeigen wir jetzt mal, was ne Harke ist. Wir treten das Gaspedal durch, so weit es die verrostete Karrosserie zuläßt und – ha! – den nächsten Fahrgast schnappen wir uns! Ätsch! Ausgebremst!!!

Wer bei diesem Wechselbad zwischen Turbobeschleunigung und Vollbremsung noch Nerven hat, kann sich voll und ganz dem Genuss der lautstark aus allen Boxen dröhnenden Salsa-Musik hingeben oder sich in die Lektüre der Zeitung seines Sitznachbarn vertiefen – sofern nicht irgendein Hintern der ungefähr 15 Leute, die sich im Gang drängen, die Sicht versperrt....

Nicht nur beim Einsteigen, auch beim Aussteigen versucht man es dem Kunden so recht wie irgend möglich zu machen. Sobald ein Fahrgast sein „Esquina bajaaaa“ („an der nächsten Ecke steige ich aus“) durch den Bus ruft, schert der Bus wieder rechts ein, koste es was es wolle, sollen die da hinten ruhig alle wütend protestieren und hupen, hier muss einer aussteigen und das hat schließlich Vorrang! Tja... Dienst am Kunden eben!!

In Deutschland würde ich mir manchmal ein bißchen was davon wünschen, wenn mir die Straßenbahn mal wieder vor der Nase wegfährt... Andererseits weiß ich es inzwischen durchaus auch zu schätzen, dass es in Deutschland so spießige Errungenschaften wie Fahrpläne, Bushaltestellen, TÜV und Verkehrsregeln gibt... hierkann das ja auch schnell mal so enden:

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