Wandern zwischen den Welten....

27.01.07

Stolpern zwischen den Welten

Aufwachen in Lima. Draußen liegt die Stadt im Nebel, es ist heiß und grau, für den Sommer ungewöhnlich neblig. Die mystische Stimmung passt gut zu meiner inneren Landschaft.... auch dort ist es seltsam neblig, die Dinge wollen noch nicht wieder so recht zusammenpassen, orientierungslos streife ich durch meine Wohnung, versuche sie wieder in Besitz zu nehmen und fühle doch nur Fremdheit und dieses Gefühl von Verlorensein... Es ist immer das Gleiche, der Wechsel von der einen in die andere Welt, vom einen in das andere Leben, holpert und stolpert, ich stoße mir Knie und Schulter an, remple durch mein peruanisches Leben, ungelenk, kantig und ein bißchen verzweifelt. Was mache ich mit dem Tag, wie knüpfe ich am besten wieder an mein Leben auf dieser Seite des Atlantiks an? Wie schlüpfe ich wieder in dieses Dasein, das ich so gerne mochte, bevor ich kurz vor Weihnachten nach Deutschland flog, das ich von dort aus so oft vermisst habe, weil es so viel bunter und chaotischer ist als das geordnete Deutschland, und das sich jetzt so seltsam weit weg anfühlt, ausgerechnet jetzt, wo ich mittendrin sitze.... Vielleicht einfach erst mal abwarten, nichts tun, im Bett bleiben, der Seele Zeit geben, den großen weiten Ozean zu überqueren und sich hier in Lima einzufinden.

Ich liege im Bett, höre die bekannten Geräusche draußen auf der Straße, die Autoalarmanlagen, die Baustelle um die Ecke, den Lumpensammler auf seinem Lastenfahrrad mit der schräg tönenden Hupe.

In meinem Kopf tauchen ungeordnet verschiedene Bilder der letzten Wochen auf – da sind noch Fetzen aus London, Big Ben, die Themse, London Eye, die verrückten Briten, die bei der größten Kälte mit kurzer Hose und T-Shirt durch die Stadt joggen, Mütze, Handschuhe, MP3-Player im Ohr – schon bei ihrem Anblick fröstelt mich. Eine Szene aus einer Kneipe am Abend mit Freunden, Wein, Lachen, worüber haben wir eigentlich geredet??? Die Londoner U-Bahn mit ihren alten, tiefen Schächten und den labyrinthischen Gängen, ihr Geruch nach Metall und Bergwerk. „Mind the gap“..... Dann Schneechaos in Stuttgart, die durchwachte Nacht am Flughafen mit den regelmäßigen, mechanischen Ansagen zur aktuellen Wettersituation in Süddeutschland. Die bleierne Müdigkeit. Das surreale Gefühl, in einem Science-Fiction-Streifen gelandet zu sein, zwischen all den digitalen Bildschirmen, Starbuckskaffeebechern und chromblitzenden Geländern, im neonbeleuchteten Abflugterminal. Plötzlich Bilder von Jonas’ erstem Geburtstag, Familienfest, Kinderspielzeug, Schwarzwälderkirschtorte. Der Kaffeetisch, Blumenservietten, all die vertrauten Familienangehörigen, die so fremd sein können, in diesem Schauspiel mit dem Titel „harmonisches Familienfest“.... Dann, unvermittelt, ein Schwenk zu den vielen Sitzungen und Gesprächen bei Misereor, nüchterne Besprechungszimmer, Laptop, Flipchart. „Wer schreibt Protokoll???“ Freunde in Stuttgart, Freunde in Köln, Freunde im Allgäu. Begegnungen – alte Freunde, vertraute, über Jahre liebgewonnene Menschen. Dazwischen auch immer wieder neue Menschen. Ein Besuch in der Sauna, warmes Holz, Bergamotte-Aufguß, Eiswürfel auf dampfender Haut.....

Heimat in Weikersheim, in der Vorbachmühle, bei mir selbst sein, bei Menschen, die Heimat sind. Zukunftsvisionen, Möglichkeiten und Chancen, ein Durchspielen der Optionen für die Zeit nach Peru, dann, in einem Jahr, wenn die Zeit hier zu Ende geht.... Dann wieder aufbrechen, Bahnhöfe, ICE-Komfortzone, Zeitschriftenstände, der Spiegel-Jahresrückblick 2006. Weihnachten, Lichterglanz, Kinderkrippenspiel und das hilflose Ringen um das angemessene Gefühl. Das alles und Vieles mehr waren die letzten Wochen in Deutschland. Nun bin ich wieder da, in Lima, in meinem Zweitleben, 18 Flugstunden später, Sommer, meine Pflanzen haben unter meiner Abwesenheit gelitten... Filmriss-Stimmung.... Ich glaub, ich ruf’ jetzt doch mal ein paar Freunde an...

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