Wandern zwischen den Welten....

02.07.06

Gringa-Alarm!

Über’s verlängerte Wochenende, das wir dem Heiligen Petrus zu verdanken haben, fahre ich mit Freunden nach Huaraz. Am Mittwoch Abend um 23 Uhr steigen wir in Lima in den Bus, am Donnerstag morgen um 6 Uhr falten wir unsere schmerzenden Knochen in der Provinzhauptstadt von Ancash wieder auseinander und das Wochenende beginnt. An den ersten beiden Tage spüren wir die Höhe noch mächtig in Kopf und Magen – Huaraz liegt auf 3.300 m. über dem Meer und kann schon mal die berühmtberüchtigte Höhenkrankheit „Soroche“ hervorrufen, wir merken’s vor allem beim Bergaufgehen....

Am Samstag aber wagen Jutta und ich uns noch ein Stückchen weiter hinauf: mit dem Taxi lassen wir uns nach „Punta Callán“ fahren. Eine Stunde dauert die ruckelige Fahrt und bringt uns auf 4.225 m. über dem Meer. Unterwegs muss der Taxifahrer immer wieder nach dem Weg fragen: „A Punto Callán???“ – fragt er nacheinander den Fahrer eines Kleinbusses, einen Bauern, eine alte Frau, einen jungen Mann, der mit Esel und Stier unterwegs ist. Die Antworten variieren. Der eine sagt „noch 25 Kilometer“, die nächste „noch 2 Stunden“. „2 Stunden zu Fuß oder im Auto?“ versuchen wir die vage Angabe etwas zu präzisieren... Die Bäuerin runzelt die Stirn. Das hat sie sich so wohl noch nicht überlegt und sie kann sich auch so schnell zu keiner Antwort durchringen. Wir winden uns also weiter die kurvige Straße hinauf. Ein altes Großmütterchen schüttelt auf unsere Frage nur mit dem Kopf. Sie kann wohl nicht weiter helfen...

Nach 20 Minuten Fahrt fragen wir einen Mann, der in seinem roten Poncho am Wegrand sitzt: „A Punta Callán?“ „Oh, das ist noch weit!!“, sagt er und winkt unbestimmt Richtung Berggipfel. „Wie weit?“ haken wir nach. „Weit!!! Bis gaaaanz da oben“, betont er „Der Pass da drüben ist es. Wo die Straße sich verzweigt. Das ist Punto Callán!“ „Wie lange brauchen wir da noch?“ „Noch eine gute halbe Stunde.“ „Danke, dass Du mich frustrierst“ murmelt unser Taxifahrer leicht genervt vor sich hin und fährt weiter. „Was wollt Ihr denn eigentlich da oben?“ wirft er mal eine ganz andere Frage auf. „Runterlaufen!“ antworten Jutta und ich unisono. „Runterlaufen???“ fragt der Taxifahrer ganz entgeistert?! „Ja! Runterlaufen“, bestätigen wir. Ist doch eine super Idee :-)

Nach x weiteren Kurven – die Landschaft ist inzwischen vollkommen karg und baumlos – kommen wir endlich oben am Pass an. Insgesamt ein recht unspektakulärer Ort: eine Kreuzung, ein schlichtes Kruzifix, mehr ist da nicht. Punto Callán. „Hier steigen wir aus“, erklären wir bestimmt und der Taxifahrer bremst. Wir klettern aus dem Auto, ein heftiger Wind fegt uns sofort um die Ohren und reißt uns die Mützen vom Kopf. Die Lust ist staubig und trocken, die Sonne grell. Wir bezahlen mit einem kleinen Aufschlag (für die viele Fragerei) und nach einem kurzen Blick hinab ins benachbarte Tal machen wir uns an den Abstieg.

Unser Taxifahrer zögert noch einen Augenblick, uns hier in dieser Einöde alleine zurück zu lassen, fährt dann aber doch los.... Verrückte Gringas! Komische Ideen haben die!!!

Ganz wohl ist uns ja zugegebenermaßen auch nicht auf dieser Höhe und in dieser einsamen Gegend. Aber schon nach wenigen Minuten haben wir unsere Bedenken zurückgelassen und genießen einfach die gigantisch schöne, grenzenlos weite Landschaft. Gegenüber auf der anderen Talseite leuchten uns die scheebedeckten Gipfel der Cordillera Blanca entgegen. Der Höchste von ihnen, der Huascarán, misst stolze 6788 m. Wir gehen gleichmäßigen Schrittes unseren kleinen Trampelpfad entlang, es riecht nach trockenem Gras, nach Erde und Sonne. Außer dem Pfeifen des Windes ist nichts zu hören, wir fühlen uns klein und unbedeutend angesichts der gigantischen Bergwelt, die uns umgibt, und gleichzeitig doch auch erhaben und eins mit dieser schönen Natur.

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen wir ein Dorf: braune Lehmhäuser, in der Sonne glänzende Wellblechdächer, zufrieden grunzende Schweine, Esel und Hühner in schlichten Gehöften. Neugierige Blicke begegnen uns, „Gringas, gringas“, rufen die Kinder und laufen uns entgegen. „Schenk mir ein Bonbon“, verlangen sie forsch. „Schenk du mir ein Bonbon“, drehen wir den Spieß um. Die Kinder gucken verdutzt. Nein! So geht das doch nicht!

„Gringita!“ ruft eine Bäuerin, die ihre Wäsche vor dem Haus wäscht. „Woher kommst Du?“ „Aus Deutschland“, antworte ich ihr. „Und wohin gehst du?“ „Spazieren, hinunter nach Huaraz“, antworte ich ihr. „Warum machst Du das?“, fragt sie irritiert. „Weil’s schön ist!“. Sie schüttelt den Kopf. Freiwillig in diesen steilen Bergen rummarschieren...auf so eine blöde Idee können auch nur die verrückten Gringas kommen.

Eine Campesina, die ihre kleine Schafherde hütet, lacht verlegen, als wir sie fragen, ob wir ein Foto von ihr machen dürfen. Nach kurzem Zögern gibt sie ihrem Herz einen Stoß, streicht den Rock zurecht, rückt sich den Hut etwas tiefer ins Gesicht und stellt sich in Positur. Als Jutta ihr das Foto auf dem kleinen Display der Digitalkamera zeigt, klatscht sie vor Verwunderung und Freude in die Hände und ruft ganz aufgeregt ihre Nichte und Enkelin herbei, damit auch sie sich vor der Kamera positonieren und an dem technischen Wunder teilhaben!

Wir wandern weiter hinab und klopfen im nächsten Dorf an einer kleinen Bodega an, um Wasser zu kaufen. Die Tür ist offen, doch es antwortet niemand. Wir klopfen nochmal, diesmal lauter. Der Nachbar streckt seinen Kopf zur Tür raus. „Ist da jemand zu Hause?“ fragen wir? „Ja“, sagt der Nachbar und brüllt Richtung zweiter Stock „Charo, komm runter, hier sind zwei Gringas, da kannst Du ein Geschäft machen“. Die Ladenbesitzerin Charo kommt auch gleich herbeigeeilt. Mineralwasser ist aber aus. Cola Real kann sie uns anbieten – das aber wollen wir nicht. Pech gehabt. Im nächsten Laden, ein paar hundert Meter weiter, haben wir mehr Glück und die Ladenbesitzerin verkauft uns gerne zwei Flaschen Wasser, nicht ohne zuerst zu fragen, wo wir zwei Gringas denn herkämen und was wir hier machen.

Die selben Fragen begegnen uns noch diverse Male an diesem Tag, genauso wie die unverhohlen neugierigen Blicke und lachenden Gesichter. Wir Gringas sind Fremde in dieser Welt und doch fühlen wir uns nicht wie störende Eindringlinge, sondern wie eine höchst willkommene Abwechslung im Dorfalltag. Die Leute halten uns für ein bißchen verrückt. Aber was soll’s... so ganz unrecht haben sie damit ja auch gar nicht...

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