Wandern zwischen den Welten....

25.08.07

Zwischen Trümmern

„Pura Vida“ heißt die Milch, die fleißige Hände am frühen Morgen auf die Ladefläche unseres Pick-up-Trucks laden. Pura Vida – reines Leben. Der Name der Milch steht stellvertretend für die Hoffnung unserer Mission. Gemeinsam mit 4 KollegInnen der Sozialpastoral der peruanischen Bischofskonferenz CEAS fahre ich an diesem Morgen die knapp 200 Kilometer die Küste entlang Richtung Süden, in die Erdbebenprovinzen Chincha, Cañete, Pisco und Ica. Wir wollen uns ein Bild von der Lage vor Ort machen, von bestehenden Organisations- strukturen, die für die Katastrophenhilfe und den Wiederaufbau genutzt werden können.

500 Liter Milch, 10 Säcke Reis, Nudel, Thunfisch in Dosen, Zucker, Haferflocken, Soda-Kekse. Das ist nicht unser Reiseproviant, sondern die Gaben, die wir in’s Erdbebengebiet südlich von Lima verfrachten wollen. Neben den zahlreichen LKWs, die Caritas & CEAS bereits in’s Katastrophengebiet geschickt haben, beladen auch wir jeden freien Quadratzentimeter im Auto, um die so dringend benötigten Güter in die Nähe der Bedürftigen zu bringen. Um sechs Uhr morgens geht es los. Für mich ist es das erste Mal, dass ich in ein Katastrophengebiet fahre, und mein Gemütszustand bewegt sich irgendwo zwischen aufgeregt und angespannt.

Auf unserer Fahrt begleitet uns der graue, limeñische August-Himmel, der tief über unseren Köpfen hängt. Er bietet die passende Kulisse für diese Reise. Knapp 120 km südlich von Lima zeigen sich die ersten Anzeichen der Katastrophe: die Straße ist von großen Rissen in Bruchstücke zerteilt, die Strommasten am Straßenrand hängen schräg in der Landschaft, Berghänge am Sraßenrand sind abgerutscht, einzelne Häuser liegen in Trümmern. Je weiter wir vordringen, um so erschreckender sind die Szenen, die sich am Straßenrand abspielen. Da stehen Frauen und Kinder mit handgeschriebenen Schildern „Wir brauchen Wasser und Lebensmittel“! „Bitte helft uns, wir brauchen Medikamente“. Menschen sitzen in notdürftig zusammen- gezimmerten Verschlägen vor ihrem eingestürzten Haus, schüren mit den zerbrochenen Holzstücken ein Feuer, kochen in einem Topf etwas für die Familie zum Essen. Am schlimmsten ist die Situation in Pisco, wo hinter noch vereinzelt stehenden Fassaden nur noch Trümmerfelder sind. Das Wasser- und Abwassersystem sind zusammengebrochen, die Elektrizität funktioniert nicht mehr. Die Stadt ist zu über 80% zerstört, Kirche, Rathaus, Schule und Krankenhaus – alles liegt in Schutt und Asche. Hinzu kommt der heiße Paracas-Wind, der erbarmungslos den trockenen Staub über die verwüstete Landschaft fegt und mir die Tränen in’s Gesicht treibt.

Wir besuchen verschiedene Pfarreien, mit denen gemeinsam CEAS die humanitäre Hilfe koordiniert. Die Pfarreien dienen als Annahmestellen für unsere Lebensmittel- und Hilfslieferungen. In Chincha wurde kurzerhand die Kirche zum Sammellager umfunktioniert. Auch wir entladen hier unseren Pick-Up. Von dort aus werden die Hilfsgüter weiterverteilt an die Bedürftigen. CEAS hat gemeinsam mit der peruanischen Caritas ein Volksküchen- Projekt auf die Beine gestellt. Mit den gespendeten Lebensmitteln werden kleine Volksküchen beliefert, die für mehrere Familien kochen. Frauen aus den großen Volksspeisungen in den Armenvierteln von Lima wurden angeheurt, um hier in den nächsten 1-2 Monaten die Grundversorgung zu gewährleisten. Die Zusammenkünfte will man gleichzeitig nutzen, um die Bevölkerung zu Wiederaufbau- kommittees zu organisieren. In Chincha funktionieren schon um die 90 Volksküchen, in San Clemente 120. In Pisco ist es schwieriger, noch funktionierende Strukturen zu finden, daher wird dort auch das größte Arbeitsteam von unseren Partnern installiert, um beim Aufbau der Volksküchen zu helfen.

Das Erdbeben der Stärke 7,9 auf der Richterskala liegt inzwischen 10 Tage zurück. Für die Menschen, die ihr Haus, Hab und Gut verloren haben, sind dies 10 Tage des Schreckens, des Hungers und der Not. Viel zu lange hat es gedauert, bis die Hilfsmaschinerie angelaufen ist und Wasser und Lebensmittel in die vom Erdbeben verwüsteten Regionen gelangten. Es gab viele kleine Katastrophen nach der Katastrophe vom 15.8.: fehlende Planung, fehlende Koordination, die gänzliche Abwesenheit eines Notfallsplans, eine Regierung, die sich als unfähig erweist, ein schnelles Katastrophen- management auf die Beine zu stellen und die Situation nur benutzt, um ihre politischen Gegnern zu diskreditieren. Die Selbstherrlichkeit des Präsidenten Alan García wurde und wird in dieser Situation nochmal ganz besonders deutlich, sein diskriminierender Umgang mit den armen Bevölkerungsschichten, der in der zynischen Aussage gipfelt, dass das peruanische Wirtschaftswachstum von den Folgen des Erdbebens nahezu unberührt bleiben wird. Stolz verkündet García ein ungebrochenes Wachstum von 7,2 Prozent für 2007. Für die Erdbebenopfer dürfte diese Aussage in Verbindung mit der nur schleppend eintreffenden staatlichen Hilfe wie ein Schlag ins Gesicht wirken.


 
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