Wandern zwischen den Welten....

22.02.08

Ismary

Mit einem verzagten Lächeln öffnet Ismary die Tür zu ihrem Haus in Cajamarca. „Percy ist nicht zu Hause“, sagt sie gleich, in entschuldigendem Tonfall. Im Wohnzimmer krabbelt das jüngste der drei Kinder auf dem Boden, plappert fröhlich vor sich hin, füllt den Raum mit Leben. Trotzdem liegt eine Schwere in der Luft, eine Traurigkeit, die sich wie ein unsichtbarer Schleier über alles legt.

Ich klappe meinen Laptop auf und zeige Ismary die drei Portraits der ARTE-Reportage, die wir im Januar mit ihrem Mann Percy und zwei anderen Protagonisten in Cajamarca gedreht haben. Sie schaut sich die drei Portraits ruhig an. „Eine gute Arbeit“, sagt sie dann… „Sehr gut…. „Was wird daraus entstehen?“ Ja… eine gute Frage…! Was wird daraus entstehen? Werden Menschen in der ganzen Welt empört aufstehen und aufschreien, dass solches Unrecht nicht ungestraft bleiben darf? Werden Aktivisten Briefe schreiben? Sich beschweren? Einen Boykott ausrufen? Werden irgendwo Menschen dafür eintreten, dass sich das Selbe nicht Tausende von Malen an verschiedenen Plätzen der großen weiten Welt wiederholt? …

Es tut mir leid, Ismary gestehen zu müssen, dass als direkte Reaktion auf die Reportage gar nichts passieren wird. Die zwei Millionen Zuschauer, die das Programm vorigen Samstag in Deutschland und Frankreich gesehen haben, haben es vermutlich schon längst wieder vergessen. Ich versuche zu erklären, dass dieser Fernsehbeitrag aber Teil einer größeren Kampagne ist, einer größeren Bewegung, die für Menschenrechte und Arbeiterrechte eintritt. Meine Erklärungen wirken hilflos. Ismary nickt. Langsam. Ismary versteht. Versteht, dass das alles notwendig ist, wichtig und gut. Versteht aber auch, dass ihre konkrete Situation sich dadurch nicht verändern wird. Ihren Kampf um Gerechtigkeit, ihren Kampf um’s Überleben müssen Ismary und Percy schon alleine ausfechten.
Ihr Mann Percy ist gerade beim Anwalt der Gewerkschaft, um seine Strafanzeige gegen das Bergbauunternehmen Yanacocha weiter voranzutreiben. Er präsentiert seine ärztlichen Unterlagen, der Fall wird ausgearbeitet, wann der Prozess beginnt, ist noch nicht klar. Ob Percy eine realistische Chance hat, das mächtige Unternehmen auf Schadensersatz für seine ruinierte Gesundheit zu verklagen, ist fraglich. Ob er jemals eine Entschädigung für die hohen Quecksilberwerte in seinem Blut erhalten wird…?

Auf meine Frage, ob Percy noch in ärztlicher Behandlung ist, ob er Medikamente nimmt, schüttelt Ismary den Kopf und die Tränen schießen ihr in die Augen. „Die Ärzte hier sind alle vom Unternehmen korrumpiert. Wir müssten nach Lima oder nach Piura reisen, um wirklich eine glaubhafte Diagnose zu erhalten. Dafür haben wir nicht das Geld. Percy’s Medizin ist inzwischen aufgebraucht – für neue Medikamente ist kein Geld da. Dafür hat er neue Symptome. Weiße Flecken auf der Haut, eine Art Pigmentstörung. Ob das vom Quecksilber kommt? Oder vom psychischen Stress? Ohne Arzt wird die Frage kaum zu beantworten sein.

Vor einer Woche hat das neue Schuljahr begonnen, es müssen Schuluniformen für die beiden größeren Kinder angeschafft werden, Hefte, Bücher, Schultaschen. „Dass Bildung in Peru umsonst sein soll, ist ein Witz! Ich habe alleine diese Woche mehr als 500 Soles (150 USD) für Schulunterlagen ausgegeben!“

„In letzter Zeit ist Percy ständig gereizt“ erzählt Ismary. Er geht nachmittags aus dem Haus und kommt erst am Abend nach Hause. „Ich weiß nicht, wohin er geht, was er tut. Er sucht nach Arbeit, sagt er. Er fährt die Kinder an, ist ungeduldig, gestresst, gereizt. Die monatelange Belastung durch seine Krankheit, die Arbeitslosigkeit, die immer drängendere Frage „wovon werden wir in ein paar Wochen leben?“, das alles schafft eine immer erdrückendere Atmosphäre im Haus. „Ich versuche, ihn zu verstehen. Versuche, seine Gereiztheit zu ignorieren. Aber er zieht sich immer mehr in sich zurück, und ich komme gar nicht mehr an ihn ran. Jetzt haben wir nicht nur die Krankheit, die Arbeitslosigkeit, die finanziellen Probleme – jetzt haben wir auch noch Eheprobleme. Es ist wie in einem bösen Traum, in dem sich ein Unheil an’s nächste reiht. Doch wenn Du am Morgen aufwachst, geht der Alptraum weiter. Ich hoffe, dass Gott sich bald an uns erinnert. Wir haben nie etwas Böses getan..."

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