Wandern zwischen den Welten....

08.02.10

Wo die Geschichte der Avatar Wirklichkeit wird

Am Samstag war ich im Kino. Der neue millionenfache Kassenschlager heißt „Avatar - Aufbruch nach Pandora“. In der Beschreibung steht, es sei ein Science-Fiction-Film. Computeranimierte, faszinierende Bilder aus einer märchenhaften Welt. Eine ergreifende Geschichte, die auf dem fernen Planeten Pandora spielt. Na’vi heißen die Eingeborenen dieses Planeten, die in enger Verbundenheit und perfekter Harmonie mit der Natur leben und die von bösen, geldgierigen Menschen, die in ihrem Raumschiff vom Planeten Erde gekommen sind, bedroht werden. So weit die Beschreibung. Doch je länger ich im Kino sitze und je weiter ich mich von der Geschichte davontragen lasse, umso klarer wird mir: das ist keine Science Fiction. Das, was da in knapp drei Stunden erzählt wird, ist über weite Strecken absolut real. Die Geschichte der Na’vi auf dem fernen Planeten Pandora wiederholt sich täglich hundertfach auf unserem Planeten. Es ist eine Geschichte, der ich in meiner Arbeit ständig begegne. Eine Geschichte, gegen deren grausamen Ausgang wir - Misereor und die Partnerorganisationen in Lateinamerika, Asien und Afrika - ständig ankämpfen. Mein Pandora heißt Cajamarca. Es liegt im Norden Perus. Meine Na’vi sind einfache Bauern, Cajamarquinos, die von gierigen Unternehmen aus fernen Ländern in ihrer Existenz bedroht werden. Die Unternehmen wollen an die kostbaren Rohstoffe auf dem Land der Cajamarquinos. Sie wollen diese Rohstoffe unbedingt und um jeden Preis. Sie sind durchaus auch bereit, dafür über Leichen zu gehen. Was im Film der heilige Baum der Na’vi ist, ist in Cajamarca der Cerro Quilish. Kein Baum, sondern ein Berg. Aber eben nicht irgendein Berg, genauso wenig, wie der heilige Baum im Film „Avatar“ irgendein Baum ist. Es ist ein heiliger Ort. Ein unantastbarer Ort. Ein geweihter Ort. Ein Ort, an dem die Cajamarquinos beten und der Mutter Erde Opfer bringen.
Das US-amerikanische Bergbau-Unternehmen Newmont lässt sich von solch spiritueller Spinnerei kaum beeindrucken. Wie die bösen Menschen im Film Avatar über die göttliche Energie, die der heilige Baum den Na’vi verleiht , nur höhnisch lachen können, so wischt auch Newmont das Argument von der Unantastbarkeit des Cerro Quilish mit einem Handstreich vom Tisch. Unter dem Quilish ist Gold. Gold in hohen Konzentrationen. Gold, auf das die gierige Welt wartet. Das ist das Einzige was zählt. Das gute Geschäft wird man sich doch nicht von ein paar primitiven Bauern verderben lassen! Und so fährt das Unternehmen seine großen Geschütze gegen die Bauern auf, rollt mit schwerster Maschinerie an, bringt Polizei, Militär und Waffen mit und kämpft um den Zugriff auf das Gold. Auch die Cajamarquinos in Peru kämpfen: um ihren heiligen Berg. Um den Erhalt ihrer Wasserquellen. Um ihr Land. Um die Bewahrung der gottgegebenen Schöpfung. Die Cajamarquinos haben keine Waffen. Sie gehen zu Fuß oder reiten auf Pferden. Sie haben kein Tränengas, keine Bulldozer und keine Hubschrauber. Sie haben nur eins: ihre Überzeugung. Waffen und Macht der zwei Kontrahenten sind sehr ungleich. An vielen, vielen Orten auf diesem, unserem ganz realen Planeten verlieren deshalb täglich Hunderte und Tausende von Bauern diesen ungerechten Kampf. Müssen ihr Land räumen. Ihre heiligen Stätten zurücklassen. Müssen weggehen. Sich eine neue Heimat suchen. Nicht selten in den Armenvierteln der großen Städte.
Pandora ist nicht fern von unserem Planeten. Avatar ist nicht Science Fiction. Die Bedrohung, der die Na’vi ausgesetzt sind, wiederholt sich täglich tausendfach. All das ist real. Ungewöhnlich erscheint mir nur, dass Millionen von Menschen sich diesen Film im Kino ansehen, sich berühren lassen, sich mitreißen lassen, im Geiste mitfiebern und hoffen, dass die Na’vi ihren Lebensraum verteidigen können. Während die Cajamarquinos und viele andere bedrohte Völker in der sogenannten „Dritten Welt“ ihren Kampf gegen die großen Bergbauunternehmen ohne große Öffentlichkeit und ohne millionenfache Unterstützung ausfechten müssen.

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Unterwegs von La Paz nach Orurooooo!!!!

Ich sitze im Zug von Frankfurt nach Köln. Der moderne ICE mit seinen eleganten Großraumabteilen gleitet nahezu lautlos auf den Schienen dahin. Schnee und Eis flitzen hinter der getönten Scheibe vorbei, bei uns hier drinnen ist es kuschelig warm. Die dezente Beleuchtung schafft eine lauschige Atmosphäre, aus meinem Kopfhörer säuselt leise klassische Musik. Der Zugführer informiert uns auf deutsch und englisch über die Speisen, die der Chefkoch heute im Bordrestaurant für uns zubereitet. Gepflegte, gut gekleidete Menschen stecken ihre Nase in die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, arbeiten am Laptop oder unterhalten sich in gedämpftem Ton. Eine schläfrige Atmosphäre liegt über dem Raum. Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und meine Gedanken wandern zurück zu einer anderen Reise, auf einem anderen Kontinent, vielleicht war es sogar auf einem anderen Planeten…Gut drei Monate liegt das nun schon wieder zurück… ich war für Misereor im Hochland Boliviens unterwegs, sollte dort Partnerorganisationen kennenlernen und strategisch beraten….

….nachdem ich die ersten drei Tage in der auf 4000 m über dem Meer gelegenen Metropole La Paz verbracht und dort zahlreiche Gespräche geführt hatte, machte ich mich auf den Weg in die bolivianische Provinz, genauer gesagt nach Oruro, einem Bergbaustädtchen, das früher ein wichtiges wirtschaftliches Zentrum in Bolivien war und sich heute nur noch dunkel an den einstigen Glanz erinnert… Die Wahl des Verkehrsmittels fiel nicht schwer - Züge und Flugzeuge gibt es auf dieser Strecke nicht, also kaufte ich mir am quirligen Busbahnhof von La Paz ein Busticket zum sagenhaften Preis von 20 Bolivianos, das sind umgerechnet etwa 3 Euro. Für die 230 km lange Strecke bräuchten wir etwa 5 Stunden, erfuhr ich am Schalter. Ich solle mich dann so ungefähr 15 Minuten vor Abfahrt des Busses auf der Abfahrtsplattform einfinden. Mir blieb noch eine halbe Stunde, und so drehte ich eine Runde durch den Busbahnhof, einer bunten Ansammlung von Verkaufsbuden, vor denen Marktschreier lautstark die noch freien Sitzplätze anpriesen. „Oruro, Oruro, Oruuuurooooo“, ruft eine in einen dicken, graubraunen Mantel gehüllte Mittfünfzigerin vor dem Stand meines Busunternehmens mit dem Namen „Trans Azul“. Von gegenüber tönt es „Potosí, Potosí, Pottoooosiiiii“ und auch „Cochabambaaaa“ und „Sucresucresucresucre“ fehlen nicht. Zwischen den Ticketständen laufen Ambulantes umher, die sich einen Bauchladen mit Süßigkeiten, Zigaretten und Coca Cola umgeschnallt haben oder selbstgemachte Salteñas an die Reisenden verkaufen.

Kurz vor der angegebenen Abfahrtszeit beginnt der Fahrer den Bus zu beladen. Kartons, Koffer, Schachteln, Taschen und Plastiktüten türmen sich schon auf der Abfahrtsplattform. Das Busunternehmen, das sich einen modernen Anstrich geben will, fordert uns Fahrgäste zum „Boarden“ auf. Ich ergattere einen Fensterplatz in der dritten Reihe, krame die Reisetabletten aus dem Rucksack (man weiß ja nie…) und verstaue mein Gepäck unter dem Vordersitz. Die Luft riecht abgestanden, erst wenige Minuten zuvor haben die aus Oruro ankommenden Fahrgäste den Bus verlassen und den Mief einer fünfstündigen Busfahrt zurückgelassen. Ich versuche, das Fenster aufzuschieben, doch es klemmt und ich insistiere nicht lange. Neben mir lässt sich ein Mann in Jeans und Sweatshirt in den Sitz fallen. Zum Glück nicht eine dieser beleibten Hochlandmamis mit ihren zahlreichen voluminösen Röcken, Ponchos und Kindern, huscht es mir durch den Kopf und ich schäme mich sogleich pflichtschuldigst für meine Gehässigkeit. Mein Sitznachbar wirft einen kurzen Blick zu mir herüber. Eine „Gringa“ also, eine Ausländerin…Aha!... Was die wohl so ganz alleine hier macht?? Und was will so jemand denn in Oruro?? Ich grüße ihn und gebe damit zu erkennen, dass ich spanisch spreche. Sein Gesicht hellt sich auf und noch während der Bus aus seiner engen Parklücke rangiert und dabei große schwarze Abgaswolken in die Luft bläst, fragt er mich, woher ich komme, was ich hier mache, wohin ich reise…und das alles ganz alleine???.... Ich kenne diese Fragen aus unzähligen gleichen oder ähnlichen Situationen und trotzdem langweilen sie mich nicht. Im Gegenteil - ich bin ja auch ganz froh, dass jemand neben mir sitzt, mit dem man ein bisschen plaudern kann…Emilio - so der Name meines Sitznachbarn - ist ein aufgeschlossener und vielseitig interessierter Mensch und hat ein ganzes Arsenal von Fragen parat, will wissen, wie das denn so ist, dieses Deutschland? wie es sich dort lebt? wie die Politiker dort sind? Und die ganze moderne Industrie…? …Ist dort wirklich alles so toll durchorganisiert, wie man immer hört?...

Emilio hat Verwandte im Krankenhaus in La Paz besucht und ist jetzt auf dem Weg zurück zu seiner Familie - Frau, zwei Mädchen (zahnlückenstrahlende Zwillinge, wie ich auf dem Foto sehen kann) und ein kleiner Sohn. Emilio arbeitet bei einer Zollbehörde, deren wichtigstes Importgut japanische Gebrauchtwagen sind, die in Oruro von Linksverkehr auf Rechtsverkehr umgerüstet und dann verkauft werden - ein Handel, den Emilio nicht wirklich gut heißen kann, diese ganze Überschwemmung mit japanischen Gebrauchtwagen, deren Kilometerstand auf Null gesetzt wurde und über deren Qualität man deshalb auch nur Mutmaßungen anstellen kann… überhaupt hat Emilio sehr klare Ansichten und Meinungen zu allen möglichen Themen. Sein Urteil über die bolivianische Regierung ist hart. Seine Ansprüche sind hoch. Seine Enttäuschung über die bolivianische Mittelmäßigkeit entsprechend groß.

Diese Mittelmäßigkeit, ja schlimmer noch, die absolute Provinzialität seiner Landsleute lässt sich ja schon an so einer Busfahrt wie wir sie gerade unternehmen bestens beobachten, ereifert sich Emilio. Muffige Busse, die Sitze verschlissen, die Schiebefenster kaputt…über den Zustand von Motor und Bremsen wollen wir lieber gar nicht erst spekulieren…„Und das Schlimmste an allem“ - so Emilio mit echtem Abscheu in der Stimme: „kaum sitzt man im Bus und lässt das Ortsschild hinter sich, packen die Leute um einen herum ihre mit Reis, Hühnchen oder gebratenen Schweinsfüßen gefüllten Schüsseln und Tüten aus und verwandeln den Bus geruchsmäßig in eine fetttriefende Hähnchenbraterei.“ „Ich hasse das“, echauffiert sich Emilio. „Mir wird jedesmal speiübel, wenn der ganze Bus nach gebratenem Huhn stinkt und ich dann stundenlang in diesem Mief hocken muss.“

Ich grinse amüsiert über Emilios Ausbruch und gestehe, dass ich mit dem Hühnerthema eigentlich ganz gut leben kann. Was mich viel mehr nervt, sind die gewalttätigen Action- und Horrorfilme, die auf langen Überlandfahrten meist nach kurzer Zeit ins Videogerät geschoben werden. Dann ziehen die Leute die Vorhänge zu, rücken ihre Kinder auf dem Schoß zurecht und schauen wie hypnotisiert auf den flimmernden Bildschirm, der über ihren Köpfen hängt. Die Lautstärke, in der die Filme vorgeführt werden, macht es so gut wie unmöglich, sich dem Spektakel zu entziehen. Ich steige deshalb nie ohne Oropax und Augenklappe in einen Bus, und bin unter den gegebenen Umständen auch gerne bereit, Emilio ein paar von meinen Ohrstöpseln als Nasenstöpsel zur Verfügung zu stellen…

Und wie wir noch so fröhlich am Lästern sind, taucht die dicke Mamita im Sitz neben uns in ihre vollgestopfte, karierte Plastiktüte, zieht eine mit orangefarbenen Blümchen verzierte Emailleschüssel heraus, öffnet sie und heraus strömt der Duft von …ja was wohl??...Reis und Hühnchen!!! Emilio beobachtet das Ganze mit einer köstlichen Mischung aus Verblüffung und Ekel. Dann schauen wir uns an und brechen in schallendes Gelächter aus. Doch das geht schon in der Titelmusik des soeben lautstark gestarteten „Karate Warrior“-Videos unter…


 
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