Wandern zwischen den Welten....

30.09.06

Otro Día....

Wenn man in der Fremde lebt, besteht eine der großen Herausforderungen darin, die geheimen Codes dieser Gesellschaft zu entschlüsseln und für die eigenen Zwecke zu nutzen zu wissen. Geheimcodes - das können bestimmte Verhaltensweisen sein, das Wissen um ungeschriebene Regeln und Tabus, oder auch Schlüsselwörter, die Türen öffnen oder eben verschließen können.

Eines dieser Zauberwörter hier in Peru heißt „otro día“. Und obwohl ich es nun schon seit geraumer Zeit kenne und benutze, bin ich immer wieder verblüfft darüber, wie gut es funktioniert.

Vor kurzem wieder auf der Plaza von San Blas in Cusco: Ein Straßenjunge, seinen Schuhputzkasten über die Schulter gehängt, steuert zielsicher auf mich zu, schaut erst in mein Gesicht, dann auf meine Schuhe, und sagt schließlich mehr befehlend als fragend: „Schuschei!!!“.
Ich gebe gleich mal zu erkennen, dass ich spanisch spreche und mit „schuschei“ nichts anzufangen bereit bin. Wenn schon englisch, dann hätte ich gerne ein richtiges „shoe shine“, aber das kann ich nicht wirklich erwarten, da ziehe ich es doch vor, spanisch zu sprechen.

„Ich putz’ dir deine schuhe“ sagt er dann also auf spanisch. Früher hätte ich darauf geantwortet „No, muchas gracias“. Und mich damit prompt und unverkennbar als Unkundige der peruanischen Codes geoutet. Daraufhin hätte der Junge dann insistiert „Ich putz’ dir deine Schuhe. Für einen Sol!", mein „nein Danke“ vollkommen ignorierend, gerade so, als ob ich gar nichts gesagt hätte. Nach einem nochmaligen „Nein Danke!“, das sich wenig später schon zu einem schon leicht gereizten, durchaus nachdrücklichen „Nein“ gesteigert hätte, wäre dann eine nervige Diskussion entbrannt, ob meine Schuhe wirklich schmutzig sind oder nicht, ob sie des „schuschei“ bedürfen, ob sie überhaupt ein „schuschei“-fähiges Obermaterial besitzen oder nicht usw...

Der Schuhputzer hätte sich vor mir aufgepflanzt und gegen meinen Willen die ganze Palette seiner schuschei-Döschen und –Tuben ausgepackt, wodurch ich mich noch mehr genötigt gefühlt hätte, jetzt doch seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Nach mehrminütigem Hin und Her hätte ich mich schließlich entweder resigniert ergeben und meine Schuhe dem „schuschei“ ausgeliefert, oder ich hätte mich, nachdem mein Tonfall immer rüder geworden wäre, schließlich mit schlechtem Gewissen davongeschlichen. Mit dem inneren Monolog: „Böse Sanne!!! Dabei wollte er doch nur ein bißchen Geld verdienen!!! Was musst du den denn jetzt gleich so anpampen? Der arme Junge...“

Ha!!! Inzwischen bin ich schlauer und muss mir so was nicht mehr antun. Denn!!!! ... ich kenne das Zauberwort!!! :-))) Inzwischen weiß ich: es ist schlicht und einfach falsch, „Nein Danke“ zu sagen, wenn man „Nein Danke“ meint. Wenn man wirklich ernsthaft keinen Bedarf an „schuschei“ und auch keinen Bedarf an der ganzen aufreibenden Diskussion hat, dann sagt man freundlich lächelnd, aber bestimmt „otro día!“. Und prompt läßt der eifrige Verkäufer von einem ab und sucht sich ein anderes Opfer.

„Otro día“ heißt nicht etwa „lass’ mich bloß in Ruhe, sonst setzt’s was“ oder „du nervst, mach’ dich vom Acker!!!“. „Otro dia“ heißt einfach nur „ein andermal“ bzw. ganz wörtlich übersetzt „an einem anderen Tag“. Und ist in dieser peruanischen Kultur, in der es unmöglich ist, dem anderen einen Gesichtsverlust zuzufügen, der ultimative Geheimcode, um zu sagen: „Ich bin in keinster Weise interessiert und es lohnt sich auch nicht, weiter zu verhandeln. Alles Insistieren wäre jetzt zwecklos. Also erspar' uns beiden das bitte!“

„Otro día“!!!! Ich hab’s inzwischen schon viele Male ausprobiert – bei Schuhputzern, Straßenhändlern, Postkarten- und Eisverkäufern, selbsternannten Touristenführern, auf dem Markt oder bei nervigen Telefonumfragen. Ein schlichtes „otro día“ und die Botschaft ist klar. So einfach kann diese Kultur sein, wenn man nur den richtigen Code kennt!!!!

Oder man sagt einfach gleich von Anfang an „Ja, gerne“ und läßt sich in aller Ruhe für einen Sol die Schuhe putzen. Das geht natürlich auch..... :-)

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25.09.06

Gold ist Gold und Job ist Job

Seit Monaten schon treibt mich nun das Bergbauthema um, beschäftigt mich, sei es mit unseren Partnerorganisationen hier in Peru, in der Kooperation mit Journalisten aus Deutschland, auf Konferenzen und öffentlichen Anhörungen, beim Katholikentag in Saarbrücken oder bei Gesprächen mit Parlamentariern in Berlin und Brüssel. Meine Freunde haben sich schon dran gewöhnt, dass ich bei jeder Gelegenheit wieder mit diesem Thema daherkomme und stellen sich erstaunlicherweise auch immer wieder geduldig als Diskussionspartner zur Verfügung. Gerade weil das Thema so komplex ist und man sich selbst als fast-schon-Expertin schwer ein objektives Bild davon machen kann, fordert es mich immer wieder neu heraus.

Fast täglich kann man in der Zeitung von den diversen Konflikten in den zahlreichen Bergbaugebieten Perus lesen und bei meinen Besuchen vor Ort bin ich Zeugin dieser massiven Konflikte geworden. Ich muss zugeben, dass meine Sichtweise deutlich geprägt ist von der Perspektive derer, die unter den Folgen des Bergbaus zu leiden haben – Bauern, die ihr Land für einen Spottpreis verkauft haben, deren Wasserquellen verschmutzt oder versiegt sind, deren Tiere krank sind. Umweltaktivisten, die sich für den Erhalt des Nebelwaldes einsetzen oder Priester, die die Schöpfung Gottes bedroht sehen.

Als mein treuer Taxifahrer Victor, der mich hier fast täglich im verrückten limeñischen Verkehr herumkutschiert, mir letzte Woche freudestrahlend erzählte, dass er höchstwahrscheinlich eine feste Stelle in Aussicht habe, habe ich mich natürlich für ihn gefreut! Das Vorstellungsgespräch war am Mittwoch. Am Donnerstag hatte er eine 80%ige Zusage. Am Freitag kamen auch die restlichen 20% noch dazu. Und am Samstag (!!!) musste er seinen neuen Arbeitsplatz in Trujillo antreten, ca. 800 km im Norden von Lima, als Supervisor bei einem Bergbauunternehmen. Schluck...!!! Ich habe ehrlich versucht, mich immer noch für ihn zu freuen.. aber irgendwie hat mich das schon auch ganz schön hart getroffen, meinen treuen Victor an ein BERGBAUUNTERNEHMEN zu verlieren! Ausgerechnet!! Wie soll ich denn da mein Feindbild konsequent aufrecht erhalten, wenn die jetzt meinem!!! Victor einen Job anbieten? Mein (!!!) Victor, den ich fast zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen konnte und der mich immer sicher an’s Ziel gebracht hat, ohne mich zu fragen, ob ich Ceviche mag oder schon in Machu Picchu war.

Muss er denn ausgerechnet bei einem Bergbauunternehmen (!!!!) eine Arbeit finden??? Und dann so plötzlich! Quasi über Nacht verschwindet nun dieser Mensch aus meinem Leben, mit dem ich täglich mindestens eine Stunde in friedlicher Eintracht in seinem klappernden Auto verbracht habe, der spürte, wenn ich traurig war und sich mit mir freute, wenn es mir gut ging, der Freud’ und Leid mit mir geteilt hat, der mir in seiner diskreten Art so verbunden war. Schwupp – weg ist er. Heute noch Taxifahrer. Morgen schon Supervisor bei einer Mine. Weg von seiner Familie, weg von Lima, weg von seinem bisherigen Leben – und damit leider auch meinem :-(

Jetzt arbeitet er also In Trujillo, im äußersten Norden von Peru, fast schon in Ecuador. Und das alles empfindet er nicht als Katastrophe, sondern als einen Segen. Was mache ich jetzt mit meinem „Feindbild Bergbauunternehmen“?? Wie integriere ich diesen Hammer in mein Weltbild? Ich weiß schon: ab jetzt sind 99% aller Bergbauunternehmen in Peru zu verurteilen, weil sie die Landschaft verschandeln, die Rechte der Bauern missachten, die Gewinne exportieren und sich einen Dreck um die Umwelt scheren. Und 1% aller Bergbauunternehmen fällt eben raus aus dieser Kritik, weil es meinem Lieblingstaxifahrer einen Arbeitsplatz beschert hat, den er schon lange dringend braucht! ...weil er nämlich mit dem, was er durch mich und meine läppischen 3-5 Taxifahrten pro Tag verdient schwerlich seine Familie ernähren kann. Wie? So kann man nicht argumentieren? Das ist nicht logisch? Eben!!! Sag' ich doch. Es ist einfach ein Kreuz mit den Bergbauunternehmen hier in Peru!!

21.09.06

Die deutsche Einwanderungsdebatte aus der Fremde betrachtet

Seit Jahren führt man in Deutschland relativ ratlos, aber nicht ohne Eifer die immer gleiche Debatte über Einwanderer, über deren Integration, versteht man darunter nun die völlige Assimilation oder lediglich die Akkulturation, über die Möglichkeit oder Unmöglicheit einer „multikulturellen Gesellschaft“. Eine der neueren Ideen in der Einwanderungsdebatte besteht nun also darin, die potenziellen Einwanderer, noch bevor sie richtig da sind, schon mal auf ihre Deutschland-Kompatibilität zu überprüfen: Kann er ausreichend deutsch? Kennt sie die wichtigsten deutschen Flüsse? Wie ist es um die Kenntnisse in deutscher Geschichte bestellt? Teilen sie auch wirklich unsere freiheitlich-demokratische Gesinnung? Kennt sie die deutsche Verfassung? Ist sie bereit, ihr Kopftuch abzulegen und ist er bereit, seine Frau als eigenständige Persönlichkeit zu akzeptieren? Der Katalog von Fragen ist lang und an vielen Stellen auch einigermaßen skurril...

Ob derlei Tests wirklich zur Integration beitragen können, halte ich persönlich für fragwürdig. Als ich im Kreis meiner deutschen Freunde neulich versuchte, den aus 100 Fragen bestehenden Einwanderungstest zu bestreiten, mussten wir alle feststellen, dass wir von Glück sagen können, dass wir die deutsche Staatsbürgerschaft schon in der Tasche haben, denn sonst könnte unsere Rückkehr nach Deutschland schwierig werden...

Meine deutschen Freunde und ich leben und arbeiten in Peru. Wir machen hier gerade die umgekehrte Erfahrung – wie ist es, als Ausländer in einer fremden Kultur zu leben. Wie ist es um unsere Peru-Kompatibilität bestellt? Wir alle sprechen mehr oder weniger fließend spanisch, wir alle haben uns vor unsrer Ausreise irgendwie auch mit der peruanischen Geschichte auseinandergesetzt, wir kennen die wichtigsten Flüsse und höchsten Berge in Peru, und wenn die neue Regierung sich mal konsolidiert hat, werden wir auch die Namen der wichtigsten Politiker kennen. Trotz all dieser Kenntnisse erleben wir uns keineswegs als voll integrierte Mitglieder der peruanischen Gesellschaft. Ganz im Gegenteil: Je länger ich hier bin, um so mehr merke ich, wie deutsch ich bin und wieviel mir dieses Deutschsein bedeutet, wie schwer es fällt, mich von meinen deutschen Wertvorstellungen und kulturellen Prägungen zu verabschieden und dem peruanischen Wertemodell unvoreingenommen zu begegnen.

Auch die Peruaner sehen uns natürlich nicht als ihresgleichen an. Vielleicht, weil wir nicht bereit sind, unsere Vorliebe für Vollkornbrot und Speisequark zu verleugnen? Oder liegt es an den Bioprodukten, denen wir hier wie Trüffelschweine nachspüren? Liegt es daran, dass wir im peruanischen Straßenverkehr immer noch viel zu häufig die Hände über dem Kopf zusammenschlagen (und sei es nur im Geiste). Vielleicht werde ich nie verstehen, warum die Peruaner mitten auf dem Kreisverkehr eine Verkehrsampel installieren, oder warum die Autobahnausfahrt nicht vor, sondern hinter der Autobahnauffahrt liegt, so dass das Chaos vorprogrammiert ist. Es gibt tausende solcher Beispiele... Zu vieles der uns umgebenden Welt ist uns nach wie vor fremd. Nach bald zwei Jahren in Peru habe ich inzwischen große Zweifel an dem in Deutschland so vehement geforderten Integrationsanspruch und füge mich immer bereitwilliger in mein Leben in einer deutsch-peruanischen Parallelwelt.

Meine Versuche, mit gleichaltrigen Peruanern Freundschaften zu knüpfen, endeten oft im Frust. Die Leute in meinem Alter haben Kinder und widmen sich in ihrer Freizeit ihrer Familie. Da ist es schwer, als Außenstehender reinzukommen. Freundschaften mit Männern sind unmöglich, wenn man nicht auch an einem Techtelmechtel interessiert ist, worüber wiederum die Ehefrau eifersüchtig wacht. Peruaner gestalten ihre knappe Freizeit häufig ganz anders als wir Deutschen – während wir am Wochenende die Umgebung erkunden, Ausflüge machen, zu sportlichen oder kulturellen Aktivitäten aufbrechen, verbringen viele Peruaner die Wochenenden im Kreis der Familie und nicht selten einfach vor der Glotze. Die Arbeitsfähigkeit für die nächste Woche wird mit Nicht-Aktivität wieder hergestellt. Wir Deutschen verfolgen die umgekehrte Strategie und suchen in anderen Aktivität den Schwung für den Arbeitsalltag. So kommt es also, dass wir uns regelmäßig am Wochenende zusammenrotten und unsere aus Deutschland mitgebrachte Lebenskultur pflegen: wir kochen gemeinsam, fahren in die Umgebung und machen Picknicks, besuchen gemeinsam Kulturveranstaltungen oder schauen uns am Sonntag Abend den aus dem Internet gezapften Tatort an. Wir reden über unsere Erfahrungen hier und schütteln den Kopf über so Vieles, was wir nicht verstehen können. Wir versuchen die peruanische Kultur zu analysieren und zu verstehen und genießen es gleichzeitig, unter Menschen zu sein, die gleich denken, ähnlich empfinden, die mit den gleichen Herausforderungen kämpfen und sich oft ähnlich fremd fühlen in diesem Land.

Oft denke ich bei unseren deutschen Zusammenkünftenan die großen, lautstark lachender und türkisch redender Gruppen türkischer Familien, die ich früher oft am Wochenende mit Börek und Airan in den Stadtparks von Stuttgart grillen sah.

Betrachte ich aus dieser meiner deutsch-peruanischen Perspektive die Einwanderungsdebatte in Deutschland, dann frage ich mich oft, was wir den in Deutschland lebenden Ausländern eigentlich abverlangen? Am besten sollen sie sich, noch bevor sich richtig in Deutschland angekommen sind, schon wie Deutsche verhalten. Sie sollen wie Deutsche sprechen, denken und fühlen. Sie sollen sich der deutschen Kultur verpflichtet fühlen und dafür ihre eigene Kultur ablegen, als ob man die ablegen könnte wie ein zu eng gewordenes Kleidungsstück.

Noch immer werden in Deutschland Türken, Kroaten oder Griechen dafür moralisch verurteilt, dass sie sich nicht „integrieren“, dass sie lieber unter sich bleiben und ihre eigenen Lebensgewohnheiten pflegen. Doch was mache ich hier in Lima? Wenn man noch dazu bedenkt, dass ich freiwillig, aus reiner Abenteuerlust hier bin, während viele Immigranten nach Deutschland gehen, weil sie in ihrem Herkunftsland keine Zukunft sehen, dann wirft das für die Anpassungswilligkeit und –fähigkeit noch weitere Fragen auf.

Ich frage mich oft, wie Integration funktionieren kann? Es kann jedenfalls kein einseitiger Prozess sein. Meine peruanischen Freundinnen und Freunde, die es durchaus auch gibt, zeichnen sich durch außergewöhnliche Fremdenfreundlichkeit aus, durch eine überaus große Neugier und Offenheit für das Andere, das Fremde. Durch einen weiten Horizont, der bereit ist, sich auf mein Anderssein einzulassen. Nicht selten sind es Peruaner, die selbst mal eine Weile im Ausland gelebt haben und dort erfahren haben, was das bedeutet: fremd zu sein in einer Gesellschaft, den Verhaltenskodex nicht so richtig zu beherrschen und sich immer ein bißchen wie ein grünes Marsmännchen auf dem Oktoberfest zu fühlen. Wieviele Deutsche bringen den in Deutschland lebenden Ausländern diese Neugier und Offenheit entgegen, reichen ihnen die Hand und sagen „wie schön, dass Du hier in meinem Land lebst!“?

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16.09.06

Quinta "Virgen del Carmen del Quinto Patio"

Donnerstag Morgen. An der Tür von Margarita Montfort klopft es. Ihre Nachbarin Nelly Galleardo steht vor der Tür. Sie hat einen Brief in der Hand, von der staatlichen Wohlfahrt. Die Beneficiencia, wie sie hier heisst, ist Eigentümer der Wohnungen, in denen Margarita und ihre Nachbarin wohnen.
„Wohnungen“ ist allerdings ein sehr beschönigender Ausdruck. Eigentlich handelt es sich vielmehr um Behausungen, man könnte auch „Hütten“ sagen: entlang einer schmalen, übel riechenden Gasse liegen rechts und links die aus einem, manchmal auch zwei Zimmern bestehenden Wohnungen. Quinta heißen diese Gassen hier in Lima. Der Putz bröckelt, die Balken sehen gefährlich morsch aus.
Die Zimmer sind vollgestopft mit Möbeln, Küchenutensilien, Fernseher, Klamotten. Es ist schwer, Ordnung zu halten, wenn 4 bis 6 Personen auf so engem Raum zusammen wohnen. 30 Familien wohnen in der Quinta, dieser baufälligen Wohnstraße in einem der ältesten Stadtteile von Lima, mehr als 150 Personen.

Margaritas Nachbarin wird mit dem Brief von der Beneficiencia zu einem Gesprächstermin zitiert. Worum es gehen soll, steht nicht in dem Brief. Nelly ist verunsichert. Wie soll sie reagieren? Was wird auf sie zukommen? Margarita rät ihr, den Termin auf jeden Fall wahrzunehmen, aber keinesfalls irgendwelche Dokumente zu unterschreiben. Für den Abend schlägt Margarita eine Versammlung vor. Es gibt mehrere Themen, die mit den Nachbarn zu besprechen sind.

Margarita ist eine der 5 gewählten Interessenvertreterinnen der Quinta Virgen del Carmen del Quinto Patio. Seit sie von CIDAP – einer Partnerorganisation von Misereor – in Rechtsfragen ausgebildet wurde, damit sie ihre Nachbarinnen und Nachbarn bei wohnrechtlichen Fragen unterstützen und beraten kann, klopft es häufig an ihre Tür. In ihrer Funktion als Promotora legal beruft sie regelmäßig Versammlungen in ihrer Quinta ein, um mit den Nachbarn über Probleme zu sprechen, die ihr gemeinsames Leben in der Quinta angehen. Sie alle sind Mieter der Beneficiencia, die in regelmäßigen Abständen mit Mieterhöhung droht, seit vielen Jahren jedoch keinen Sol in die Behausungen investiert hat, weshalb die Wohnverhältnisse hier von Jahr zu Jahr prekärer werden. Um den Schikaneversuchen der Beneficiencia nicht hilflos ausgeliefert zu sein, haben die Bewohner der Quinta sich nun in einem Verein zusammengeschlossen, ihre Satzung ausgearbeitet und ein Heft für die Versammlungsprotokolle angelegt. „Nur gemeinsam sind wir stark. Wir müssen uns organisiseren und zusammenhalten, sonst spielt die Beneficiencia uns gegeneinander aus und wir stehen irgendwann alle ohne Wohnung da!“ erklärt Margarita ihren Nachbarn, die eifrig mit dem Kopf nicken.

Auf der Tagesordnung für die heutige Versammlung steht das leidige Wasser- und Abwasserthema. Seit Jahren kämpfen die Bewohner der Quinta nun darum, dass in die verschiedenen Häuser Wasser- und Abwasserleitungen gelegt werden. Bis vor zwei Jahren teilten sich die Bewohner der Quinta einen einzigen Wasserhahn und einen Abwasserschacht. Der Wasserhahn funktioniert inzwischen schon lange nicht mehr, den hat die Beneficiencia abgestellt. Jetzt kaufen die Bewohner der Quinta ihr Wasser täglich an einem LKW. Die Qualität ist schlecht, der Preis hoch. Das Abwasserloch kollabiert regelmäßig und ist den großen Abwassermengen nicht gewachsen. Es gibt eine Toilette und eine Dusche, doch die meisten Bewohner ziehen es vor, ihre Verrichtungen in ihren Wohnungen vorzunehmen und das Brauchwasser und die Fäkalien dann in den Abwasserschacht zu schütten.

Mit der Hilfe von CIDAP wurden die Pläne für die sanitären Installationen in den Häusern erstellt und beim peruanischen Wasserversorger SEDAPAL eingereicht. Nach monatelangem Kampf mit den bürokratischen staatlichen Behörden scheint das Ziel nun in erreichbare Nähe zu rücken. Dies konnte nur erreicht werden, weil sich die Bewohner der Quinta geschlossen hinter das Projekt gestellt haben und unnachgiebig auf ihr Recht bestanden haben.

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