Wandern zwischen den Welten....

30.08.07

Oh Du schönes Landleben !!!

Wenn man am Sonntag in der peruanischen Provinz über die Dörfer fährt, begegnet einem so allerlei Skurriles: neulich zwischen Maras und Moray zum Beispiel, es war so gegen halb sechs Uhr abends, kurz vor Sonnenuntergang, Kinder trieben gerade die Schafherden zurück in’s Dorf, die Landschaft strahlte wochenendliche Ruhe und Geruhsamkeit aus.

Zwei Frauen am Wegrand winken uns und machen deutlich, dass sie gerne mitfahren wollen. Wir halten an und die beiden alten Damen klettern kchernd und gackernd auf die Rückbank. Ich frage: „Nach Maras?“ und die Alten nicken eifrig. „Gracias, Mama“, sagt die eine und grinst mich breit und zahnlos an. Dass hier „Mamá“ einfach ein Ausdruck freundschaftlicher Verbundenheit ist, weiß ich inzwischen, und wundere mich nicht weiter drüber. Strahlend wie die Honigkuchen- pferde sitzen die beiden alten, runzligen Damen auf dem Rücksitz und freuen sich, mit zwei Gringos in so einem schicken Autos zu sitzen und sich den langen Fußweg zu sparen. Die Verständigung läuft holprig, da die Damen kaum spanisch sprechen, und ich leider nach wie vor kein Quechua kann. Es ist aber letztlich auch gar nicht so wichtig, immer die exakt richtigen Worte zu finden. Manche Situaitonen bedürfen keiner großen Erklärung.

Und so kippt die eine Mamita nach wenigen Momenten auch promt zur Seite und nickt ein, während mir die andere immer wieder mal von hinten auf die Schulter klopt und ihr „Gracias Mamá“ wiederholt. Der Wagen füllt sich schnell mit einem süßlichen, leicht stechenden Geruch nach Zuckerrohrschnaps, und so beantwortet sich auch die Frage, woher die beiden wohl kommen. Sonntag ist Feiertag, und die beiden Alten haben das wörtlich genommen und sich ein paar tragos einverleibt. Kurz vor Maras sagt die Wachere der beiden „baja“, was soviel bedeutet wie: wir steigen hier aus. Wir halten an und die beiden ziehen torkelnd von dannen. Zurück bleibt nur der Geruch nach einem dörflichen Festtag...

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von Frauen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen...

Frauenförderung spielt in der Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Entwicklungsprozesse nur dann erfolgreich sein können, wenn sie alle Mitglieder einer Gemeinschaft aktiv einbeziehen, wenn sie von möglichst vielen Akteuren gemeinsam konzipiert, gestaltet und mitgetragen werden. Das gilt für alle Länder – ob Nord oder Süd, ob Ost oder West.

In Peru, einem Land, in dem der Machismo sehr stark ausgeprägt ist und die Rollenbilder sowohl in den Köpfen der Männer als auch in den Köpfen der Frauen extrem von traditionellen Werten und Vorstellungen geprägt sind, ist dies eine besondere Herausforderung.

Gerade in den ländlichen Gegenden sind die traditionellen Rollenmuster sehr festgefahren: die Frau kümmert sich um Haus und Kinder, um die Mahlzeiten und das Kleinvieh wie Hühner, Schafe und Meerschweinchen. Die Männer gehen raus auf’s Feld und kümmern sich um’s Großvieh.Sie sind es auch, die am Sonntag auf die Viehmärkte gehen und entscheiden somit über Einkommen und Ausgaben. Überhaupt werden die ökonomischen Entscheidungen fast ausschließlich von Männern getroffen, ob in der Familie, in der Gemeinde oder in der nationalen Politik. Kaum ein Dorf, in dem im Gemeinderat auch Frauen sitzen, von einer Bürgermeisterin ganz zu schweigen.

Häusliche Gewalt ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen auf dem Land. In Verbindung mit Alkoholismus kann das zu brutalen Handgreiflichkeiten führen. Auch sexuelle Gewalt ist in vielen Familien an der Tagesordnung.

Die viele Frauen reagieren darauf in der Regel mit Schweigen und Resignation. Das ganze Gewaltthema ist ein großes Tabu, über das man noch nicht mal mit der Nachbarin spricht. Man ist eben mal wieder „hingefallen“. Die anderen wissen das dann schon einzuordnen...

Das Durchbrechen dieser Muster ist schwer, denn sie sind eben keinesfalls nur in den Köpfen der Männer zu finden, sondern genauso fest in den Köpfen der Frauen verankert. Gemeinsam geben die Eltern diese Rollenmuster an ihre Kinder weiter und können sich oft gar nicht vorstellen, dass es auch anders gehen könnte.

Für Frauen ist es schwierig, ihre Isolation zu durchbrechen. Die Männer geben sich häufig extrem eifersüchtig und grenzen den Bewegungsradius ihrer Frauen stark ein. Die Teilnahme an Versammlungen und Veranstaltungen wird untersagt oder mit großem Mißtrauen beäugt. Man setzt sich dem Spott der anderen Männer aus, wenn man sich von seiner Frau derart auf der Nase rumtanzen läßt.

Tatsächlich ist der schlichte Austausch zwischen Frauen meist ein erster Schritt, sich festgefahrene Verhaltensmuster bewußt zu machen.

Beim Besuch verschiedener Frauengruppen treffen wir auf Mariza, eine selbstbewußte Frau, die schon in früher Kindheit ihren Vater verlor und deshalb als älteste Tochter in der Familie seine Rolle übernahm.

Mariza erzählt: „ich habe es nie eingesehen, warum wir Frauen nicht mitentscheiden dürfen, warum wir nicht unser eigenes Einkommen haben können, warum wir uns schlagen lassen sollen.“ Immer hat sie den Kontakt und Austausch mit anderen Frauen gesucht und sich an die Spitze einer Basisorganisation gestellt, die heute mehr als 180 Mitglieder hat. Diese Organisation wurde zunächst geschaffen, um einige landwirtschaftliche Produkte zu vermarkten, hat aber im Lauf der Zeit Themen wie Menschenrechte, Gesundheit, Bildung sowie Bürgerrechte und Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen immer expliziter aufgenommen.

Die Emanzipation der Frauen geht Hand in Hand mit der Erwirtschaftung eines eigenen Einkommens. So hat sich Mariza über den Haushalt hinaus diverse kleine, einkommensschaffende Maßnahmen geschaffen: sie betreibt den Anbau von Gemüse, das sie gemeinsam mit anderen Produzentinnen vermarktet und das ihr im Monat zwischen 200 und 700 Soles einbringt, je nach Jahreszeit und Marktlage. Darüber hinaus hat sie eine Blumenzucht, die zusätzliches Einkommen schafft. Mariza liebt Blumen und genießt es, die Pflanzen zu schneiden und zu bunten Sträußen zu binden. Jeden Samstag verkauft sie auf dem Markt und hält in diesem Zusammenhang auch Versammlungen mit den anderen Produzentinnen ab. Gemeinsam mit ihren Nachbarinnen stellt sie ätherische Öle her, die als Heiltropfen oder Kosmetikmittel verkauft werden. Ihr neuestes Vorhaben ist ein Tourismus-Projekt. Sie hat ihr Haus umgebaut, hat Fremdenzimmer eingerichtet und sanitäre Anlagen installiert. Die Touristen werden bei ihr ein anderes Peru kennenlernen, als in den 5-Sterne-Hotels unweit von Mariza’s Grundstück.

Mariza gesteht, dass auch ihr Mann anfangs versuchte, sie mit Gewalt in das vorherrschende Rollenmodell zu pressen. Inzwischen erkennt er Mariza jedoch als ebenbürtige Partnerin an und ist stolz auf das, was sie erreicht hat: sie ist Mitglied im örtlichen Gemeinderat, ist Leiterin einer großen Frauenorganisation und würde in den letzten Wahlen sogar als Abgeordnete für den Kongress aufgestellt. Auch wenn sie dieses Amt noch nicht erreicht hat, scheint sie auf dem besten Weg dorthin zu sein. Eine Frau mit Herz und Verstand, mit Weitblick und Visionen: „Ich träume davon, dass in 20 Jahren alle Frauen in Peru für ihre Rechte eintreten. Dass sie ihr Schicksal aktiv in die Hand nehmen und gemeinsam mit ihren Männern eine andere Art von Leben leben, als das heute der Fall ist. Ein Leben, das von gegenseitigem Respekt geprägt ist und von gleichen Chancen für alle Menschen, ob Mann oder Frau, ob arm oder reich.“


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25.08.07

Zwischen Trümmern

„Pura Vida“ heißt die Milch, die fleißige Hände am frühen Morgen auf die Ladefläche unseres Pick-up-Trucks laden. Pura Vida – reines Leben. Der Name der Milch steht stellvertretend für die Hoffnung unserer Mission. Gemeinsam mit 4 KollegInnen der Sozialpastoral der peruanischen Bischofskonferenz CEAS fahre ich an diesem Morgen die knapp 200 Kilometer die Küste entlang Richtung Süden, in die Erdbebenprovinzen Chincha, Cañete, Pisco und Ica. Wir wollen uns ein Bild von der Lage vor Ort machen, von bestehenden Organisations- strukturen, die für die Katastrophenhilfe und den Wiederaufbau genutzt werden können.

500 Liter Milch, 10 Säcke Reis, Nudel, Thunfisch in Dosen, Zucker, Haferflocken, Soda-Kekse. Das ist nicht unser Reiseproviant, sondern die Gaben, die wir in’s Erdbebengebiet südlich von Lima verfrachten wollen. Neben den zahlreichen LKWs, die Caritas & CEAS bereits in’s Katastrophengebiet geschickt haben, beladen auch wir jeden freien Quadratzentimeter im Auto, um die so dringend benötigten Güter in die Nähe der Bedürftigen zu bringen. Um sechs Uhr morgens geht es los. Für mich ist es das erste Mal, dass ich in ein Katastrophengebiet fahre, und mein Gemütszustand bewegt sich irgendwo zwischen aufgeregt und angespannt.

Auf unserer Fahrt begleitet uns der graue, limeñische August-Himmel, der tief über unseren Köpfen hängt. Er bietet die passende Kulisse für diese Reise. Knapp 120 km südlich von Lima zeigen sich die ersten Anzeichen der Katastrophe: die Straße ist von großen Rissen in Bruchstücke zerteilt, die Strommasten am Straßenrand hängen schräg in der Landschaft, Berghänge am Sraßenrand sind abgerutscht, einzelne Häuser liegen in Trümmern. Je weiter wir vordringen, um so erschreckender sind die Szenen, die sich am Straßenrand abspielen. Da stehen Frauen und Kinder mit handgeschriebenen Schildern „Wir brauchen Wasser und Lebensmittel“! „Bitte helft uns, wir brauchen Medikamente“. Menschen sitzen in notdürftig zusammen- gezimmerten Verschlägen vor ihrem eingestürzten Haus, schüren mit den zerbrochenen Holzstücken ein Feuer, kochen in einem Topf etwas für die Familie zum Essen. Am schlimmsten ist die Situation in Pisco, wo hinter noch vereinzelt stehenden Fassaden nur noch Trümmerfelder sind. Das Wasser- und Abwassersystem sind zusammengebrochen, die Elektrizität funktioniert nicht mehr. Die Stadt ist zu über 80% zerstört, Kirche, Rathaus, Schule und Krankenhaus – alles liegt in Schutt und Asche. Hinzu kommt der heiße Paracas-Wind, der erbarmungslos den trockenen Staub über die verwüstete Landschaft fegt und mir die Tränen in’s Gesicht treibt.

Wir besuchen verschiedene Pfarreien, mit denen gemeinsam CEAS die humanitäre Hilfe koordiniert. Die Pfarreien dienen als Annahmestellen für unsere Lebensmittel- und Hilfslieferungen. In Chincha wurde kurzerhand die Kirche zum Sammellager umfunktioniert. Auch wir entladen hier unseren Pick-Up. Von dort aus werden die Hilfsgüter weiterverteilt an die Bedürftigen. CEAS hat gemeinsam mit der peruanischen Caritas ein Volksküchen- Projekt auf die Beine gestellt. Mit den gespendeten Lebensmitteln werden kleine Volksküchen beliefert, die für mehrere Familien kochen. Frauen aus den großen Volksspeisungen in den Armenvierteln von Lima wurden angeheurt, um hier in den nächsten 1-2 Monaten die Grundversorgung zu gewährleisten. Die Zusammenkünfte will man gleichzeitig nutzen, um die Bevölkerung zu Wiederaufbau- kommittees zu organisieren. In Chincha funktionieren schon um die 90 Volksküchen, in San Clemente 120. In Pisco ist es schwieriger, noch funktionierende Strukturen zu finden, daher wird dort auch das größte Arbeitsteam von unseren Partnern installiert, um beim Aufbau der Volksküchen zu helfen.

Das Erdbeben der Stärke 7,9 auf der Richterskala liegt inzwischen 10 Tage zurück. Für die Menschen, die ihr Haus, Hab und Gut verloren haben, sind dies 10 Tage des Schreckens, des Hungers und der Not. Viel zu lange hat es gedauert, bis die Hilfsmaschinerie angelaufen ist und Wasser und Lebensmittel in die vom Erdbeben verwüsteten Regionen gelangten. Es gab viele kleine Katastrophen nach der Katastrophe vom 15.8.: fehlende Planung, fehlende Koordination, die gänzliche Abwesenheit eines Notfallsplans, eine Regierung, die sich als unfähig erweist, ein schnelles Katastrophen- management auf die Beine zu stellen und die Situation nur benutzt, um ihre politischen Gegnern zu diskreditieren. Die Selbstherrlichkeit des Präsidenten Alan García wurde und wird in dieser Situation nochmal ganz besonders deutlich, sein diskriminierender Umgang mit den armen Bevölkerungsschichten, der in der zynischen Aussage gipfelt, dass das peruanische Wirtschaftswachstum von den Folgen des Erdbebens nahezu unberührt bleiben wird. Stolz verkündet García ein ungebrochenes Wachstum von 7,2 Prozent für 2007. Für die Erdbebenopfer dürfte diese Aussage in Verbindung mit der nur schleppend eintreffenden staatlichen Hilfe wie ein Schlag ins Gesicht wirken.

20.08.07

Erdbeben in Peru

Am 15.08.2007 um 18:41 ereignete sich in Peru ein großes Erdbeben der Stärke 7,5 auf der Richterskala. Das Epizentrum lag ca. 150 km südöstlich von Lima im Pazifischen Ozean. Am schlimmsten betroffen von dem Beben sind die Städte Ica, Pisco, Chincha und Cañete, etwa 240 km südlich von Lima. Sie wurden teilweise bis zu 90% zerstört. Dort kamen nach bisherigen Angaben mehr als 504 Menschen um’s Leben, mehr als 16.000 Familien sind ohne Obdach und fast zweitausend Menschen sind verletzt. Die Strom- und Wasserversorgung ist in den betroffenen Orten komplett zusammengebrochen. Die Hoffnungen, nach inzwischen 5 Tagen noch Überlebende in den Trümmern zu finden, gehen inzwischen gegen Null.Die 9 Millionen-Stadt Lima ist dagegen mit dem Schrecken davongekommen. Das fast dreiminütige Beben war in der Hauptstadt zwar deutlich spürbar und ließ die Menschen auf die Straßen und Plätze flüchten. Es führte aber glücklicherweise zu keinen großen Schäden.

Mehrere hundert Nachbeben haben seit Mittwoch die Region erschüttert, wobei die meisten nicht spürbar sind, einige jedoch bis zu 5,5 Grad auf der Richterskala erreichten. Da allen der Schreck vom Mittwoch noch in den Knochen steckt, lösen die ja auch sonst in LIma nicht so seltenen Erdstöße nun sehr großes Unbehagen aus!

Die peruanische Regierung, NGOs, Kirchen sowie private Unternehmen haben rasch mit Hilfslieferungen begonnen und Mittel für die Katastrophenhilfe bereitgestellt. Die Situation vor Ort ist dennoch nach wie vor chaotisch, weil die Zufahrtsstraßen in die Erdbebengebiete durch das Beben zerstört wurden und die Hilfslieferungen nur langsam in die am schwersten betroffenen Gebiete gelangen. Die Menschen in den Erdbebengebieten leiden Hunger und Durst. Durch die wachsende Verzweiflung der Menschen kommt es zu Überfällen und kriminellen Ausschreitungen. Der Staat hat inzwischen mehr Militärs bereitgestellt, um den sicheren Transport der Güter in die Katastrophenregion zu gewährleisten.
Um die 400 Tonnen Nahrungsmittel und Wasser müssen täglich in das Katastrophengebiet transportiert werden, was durch den schlechten Straßenzustand erheblich erschwert wird. Aufgrund der nach wie vor nicht geborgenen Leichen wird inzwischen auch der Ausbruch von Epidemien befürchtet.
Immer wieder wird bei unseren Partnerorganisationen und in den Medien über die mangelhafte Koordination der verschiedenen Akteure berichtet. Unsere Partnerorganisation CEAS hat gemeinsam mit Caritas Peru einen Notfallplan erarbeitet und konzentriert sich derzeit neben der konkreten Verteilung von Hilfsgütern, Medikamenten sowie der Versorgung der Kranken auf die Verbesserung der Koordination.

Für diejenigen unter meinen Lesern, die in Lima sitzen und Güter spenden wollen, hat CEAS eine Annahmestelle eingerichtet. Bitte bringt saubere Kleidung, Decken, Taschenlampen, Batterien, nicht-verderbliche Lebensmittel in die Av. Salaverry 1945, Jesús Maria. Von dort aus fahren alle 2 Tage LKWs in’s Erdbebengebiet.

Wer Geld spenden möchte, kann dies ebenfalls gerne tun. Hier die Bankverbindung von Misereor: Konto 52 100 bei der Sparkasse Aachen (BLZ 390 500 00) Stichwort "Erdbeben Peru"

Zum Thema "Spenden" noch ein Nachsatz: Besser als zweckgebundene Spenden sind Spenden ohne eine Stichwort-Angabe. Misereor oder jedes andere Hilfswerk, das Euch am geeignetsten erscheint, wird in jedem Fall das Geld immer dort einsetzen, wo es gerade am meisten gebraucht wird. Zu viele zweckgebundene Spenden für eine spezifische Katastrophe können für ein Hilfswerk auch schnell zum Problem werden, da das Geld dann innerhalb einer bestimmten Frist für genau dieses Gebiet ausgegeben werden muss – und Schnelligkeit ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Sinnhaftigkeit.... Wenn Ihr Eure Spenden nicht einem spezifischen Zweck widmet, können sie auch in mittel- und langfristige Wiederaufbauprojekte fließen...

(weitere Fotos hier http://s20133.gridserver.com/peruenemergencia/index.html )

19.08.07

Klimawandel - kein Horrorszenario für die Zukunft, sondern reale Gegenwart

„Schau, ich lebe jetzt seit mehr als 50 Jahren hier in der Region Cusco, und ich kann nur sagen: Der Klimawandel ist längst Realität!“ Rubén Ocampo, Leiter der Misereor-Partnerorganisation ARARIWA, macht das an drei Beispielen fest: „Diese Hitze, die wir jetzt, in den eigentlich doch kühlen Wintermonaten, um die Mittagszeit hier in Cusco haben, das ist doch nicht normal! Das hat es früher nicht gegeben. Und wenn du in’s Urubamba-Tal fährst, dann schau’ dir mal die Berge dort an! Wo früher schneebedeckte Gipfel waren, sind heute nur noch kahle Felsen zu sehen! Die Schneegrenze reichte früher in den Wintermonaten bis runter ins Tal, heute sind nicht mal mehr die Kuppen der Berge mit Schnee bedeckt! Die Gletscher schwinden unaufhaltsam, in ein paar Jahren werden sie gänzlich verschwunden sein. Und damit kommen wir zum dritten Anzeichen für den Klimawandel: die versiegenden Wasserquellen. Die Bauern, mit denen wir in den Dorfgemeinschaften Ausbildungskurse in nachhaltiger ländlicher Entwicklung machen, erzählen uns, dass die Quellen und Flüsse immer weniger Wasser führen. Die Lagune Piuray zum Beispiel, die die Provinzhauptstadt Cusco mit Wasser versorgt, ist in den letzten 35 Jahren um ein Drittel geschrumpft,“ sagt Ruben, und deutet zum Beweis auf die vergleichenden Fotos von 1972 und 2006.Eine wachsende Bevölkerung und somit mehr Nachfrage nach Wasser, Boden und Nahrungsmitteln stehen einer dramatischen Wasserverknappung, Bodenerosion und ausfallenden Ernten gegenüber.

Auch den massiven Kälteeinbruch, den das peruanische Andenhochland in den Monaten von Juni bis August erfahren hat, führt Rubén Ocampo auf den Klimawandel zurück. „Hitzeperioden wechseln sich mit dramatischen Kälteeinbrüchen ab. Das Wetter ist viel extremer geworden in den letzten 20 Jahren.“

„Die Leidtragenden des Klimawandels sind vor allem die Armen,“ führt Ruben Ocampo aus. „Hitze und Kälte treffen sie besonders hart. Bisher konnten die Bauern mittels künstlicher Bewässerung auch in der regenfreien Zeit eine zweite, kleine Ernte einbringen. Heute, mit der zunehmenden Wasserknappheit, wird die künstliche Bewässerung immer schwieriger, und die zweite Ernte entfällt. Konflikte um das Wasser sind vorprogrammiert, irgendwann werden nur noch die Zugriff auf Wasser haben, die viel Geld dafür bezahlen können.“

Auch in Piura, im Norden Perus, bereitet der Klimawandel Sorgen. Die Misereor Partnerorganisation Diaconía para la Justicia y la Paz lädt zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Der Klimawandel und seine Auswirkungen für unsere Region“ ein. Im Publikum sitzen neben Vertretern von Regierungsbehörden, Bauern und Produzentengemeinschaften auch Schüler und Studenten. Die Aktualität des Themas lockt immer mehr Menschen in den bereits zum Bersten gefüllten Raum. Der Tenor der Vorträge und Debatten ist auch hier: der Klimawandel ist längst Realität, nur leider sind wir in keinster Weise darauf vorbereitet!

Ein Beispiel: Der Norden Perus ist innerhalb von nur 15 Jahren von zwei katastrophalen El-Niño-Phänomenen heimgesucht worden: das erste 1982/83, das zweite 1997/98. Dabei tritt das Niño-Phänomen laut Statikstik nur alle 50-100 Jahre auf. Aufgrund einer außergewöhnlichen Erwärmung der Meeresströme vor der Küste Perus kommt es dann zu starken Regenfällen und in der Folge zu heftigen Überschwemmungen. Während des Niño-Phänomens multipliziert sich die Niederschlagsmenge um ein 10-50faches des normalen Niederschlags. Erdrutsche und Bodenerosion sind die Folge. Häufig brechen aufgrund des stark verunreinigten Wassers Seuchen und Epidemien aus.

Durch die weltweit ansteigenden Temperaturen werden die Abstände zwischen den Niño-Phänomenen in Peru sehr viel kürzer. Überschwemmungen und Dürren sind jeweils deutlich stärker ausgeprägt.

Die Verfügbarkeit von Wasser, im trockenen Wüstenstreifen der peruanischen Küste schon von jeher ein knappes Gut, steigt durch die globale Erwärmung zunächst trügerischerweise an, weil die Gletscher mit rasender Geschwindigkeit abschmelzen. 22% der gesamten Gletscheroberfläche sind in den letzten 35 Jahren bereits abgeschmlozen. Die bislang verlorene Wassermenge entspricht dem Wasserverbrauch der 9-Millionen-Stadt Lima von 10 Jahren.

Nach aktuellen Berechnungen werden die peruanischen Gletscher unterhalb von 5.000 m. ü. NN bis zum Jahr 2015 vollständig abgeschmolzen sein. Dann wird es zu einer dramatischen Wasserverknappung an der peruanischen Küste kommen. Dort lebt ein Großteil der Peruaner - allein in der Hauptstadt Lima ein Drittel der Gesamtbevölkerung Perus – sowie in weiteren Städten entlang der Küste: Chiclayo, Chimbote, Trujillo, Tumbes.

Die Problemanalyse ist – wenngleich alles andere als vollständig – so doch ausreichend, um ein erschreckendes Bild für die Zukunft heraufzubeschwören. Doch wie kommt man von der niederschmetternden Analyse zu konstruktiven Vorschlägen, wie dem Klimawandel entgegengewirkt werden kann? Wie kommt man zu kohärenten regionalen und nationalen Politiken und Praktiken, die das Thema anpacken? Wie kann Peru seine zu fast 50% in Armut lebende Bevölkerung vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen?

Für Ruben Ocampo von ARARIWA besteht ein erster, wichtiger Schritt im Bereich Aufklärung, Sensibilisierung und Bewußtseinsbildung. „Wir müssen den Leuten klar machen, dass Umweltschutz kein Luxus ist, sondern unser aller Lebensbedingungen maßgeblich beeinflusst.“ Er fordert, dass Umwelt- und Klimaschutz auf die politische Agenda gesetzt und als Querschnittsthemen in allen Sektoren verankert werden. Lokale, regionale und nationale Regierungen müssen in die Verantwortung genommen werden. Zivilgesellschaftliche Akteure müssen zur Aufklärung beitragen, müssen Druck auf die Entscheidungsträger ausüben und gemeinsam mit den staatlichen Akteuren Lösungsstrategien erarbeiten.

Dahin ist es in Peru noch ein langer Weg. Obwohl es auf dem Papier erste Vorschläge für nationale und regionale Strategien zur Anpassung an den Klimawandel gibt, scheitert die Umsetzung vor allem am fehlenden politischen Willen. Was die Ursachen des Klimawandels angeht, so trägt Peru durch seine rapide Abholzung der Regenwälder beträchtlich zum Klimawandel bei, obwohl das Land keine großen Industrien besitzt und im Emissionsbereich eher ein zu vernachlässigender Akteur ist. Doch die Abholzung des Regenwalds beschert Peru ein sehr schlechtes Klimazeugnis. Auch hier gestaltet sich die Suche nach praktikablen Lösungen schwierig. Trotzdem betont Rubén Ocampo: „Wir dürfen uns nicht von der Ohnmacht niederdrücken lassen, sondern müssen Schritt für Schritt auf die Lösung zuarbeiten. Das tun wir schon, wenn wir uns für nachhaltiges Umwelt- und Wassermanagement einsetzen, wenn wir mit Hilfe von Misereor und anderen Hilfswerken Aufforstungsprogramme durchführen und ökologische Anbaumethoden fördern, wenn wir Bodenschutzprogramme und Projekte zur Ernährungssicherung implementieren. Es gibt aber noch Vieles, was wir bisher nicht anpacken – zum Beispiel Praktiken zur Regenwassernutzung, wassersparende Bewässerungsmethoden, die Anpassung der Anbauprodukte an die neuen klimatischen Gegebenheiten usw. Wir müssen die Regierungen dazu kriegen, dem Thema eine hohe Priorität einzuräumen. Themen wie Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung können nicht unabhängig vom Klimawandel debattiert werden. Dazu brauchen wir starke Alliierte und die Hilfe von Partnern im In- und Ausland, wie z.B. die Unterstützung von Misereor.“


 
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