Wandern zwischen den Welten....

21.09.07

Beschimpfungen, Drohungen, Anfeindungen

Bei der Durchsetzung ökonomischer Interessen kämpft die peruanische Regierung mit harten Bandagen

Am Beispiel des Bergbauprojekts Rioblanco, das nach dem Willen der peruanischen Regierung in den kommenden 25 Jahren in der Region Piura, im äußersten Norden Perus, von dem chinesischen Zijin Konsortium ausgebeutet werden soll, läßt sich beobachten, mit welch harten Bandagen die Regierung in enger Allianz mit dem Unternehmen um die Durchsetzung ökonomischer Interessen kämpft. Dabei setzt sie die Menschenrechte sowie demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien auf’s Spiel.

21 Dorfgemeinschaften, mehr als 18.000 Menschen, haben am 16.09.2007 in den Distrikten Ayabaca, Carmen de la Frontera und Pacaimpampa mit einer überwältigenden Mehrheit von 93% gegen den Bergbau in ihrer Region gestimmt. Das von den Bürgermeistern der drei Distrikte einberufene Referendum war zum nationalen Thema geworden, weil die Regierung unter Präsident Alán García und Premierminister Jorge del Castillo mit allen Mitteln versucht hatte, das Referendum zu verhindern.

Der Boykott des laut peruanischer Gesetzgebung sowohl legalen als auch legitimen Instruments einer Volksbefragung begann bereits Wochen vor dem Abstimmungstermin, als die nationale Wahlbehörde ONPE es offiziell ablehnte, das Referendum im Auftrag der Bürgermeister in den drei Distrikten durchzuführen. Bei anderen Volksabstimmungen hatte die ONPE diese Rolle in den vergangenen Jahren schon mehrfach übernommen, im Fall Rio Blanco tat sie es nicht. Also wurde von den Bürgermeistern ein privates Unternehmen mit dieser Aufgabe betraut, um sicherzustellen, dass alles ordentlich und entsprechend peruanischer Gesetzgebung durchgeführt würde. Auch wurden nationale und internationale Wahlbeobachter eingeladen, um den Prozess zu überwachen.

Den Schulen wurde verboten, ihre Räume als Wahllokale zur Verfügung zu stellen. Die Wahl musste deshalb unter freiem Himmel in den Fussballstadien der Provinzhauptstädte durchgeführt werden.

Der Staatspräsident Alan Garcia und Premierminister Jorge del Castillo versuchten wiederholt, das Referendum als einen illegalen Akt zu kriminalisieren und schreckten auch vor gezielter Desinformation der Bevölkerung nicht zurück. So versuchten sie in einem Radiospot, die öffentliche Meinung in die Irre zu führen, indem sie behaupteten, die Consulta Vecinal verstoße gegen die peruanische Gesetzgebung und dies sei auch von der Defensoría del Pueblo (Ombudsmann des Volkes) bestätigt worden. Dabei hatte sich die Defensora del Pueblo – Beatriz Merino – ganz im Gegenteil zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach an die Öffentlichkeit gewandt und unterstrichen, dass die Consulta Vecinal rechtmäßig sei. Als der Radiosender Cutivalú in Piura sich weigerte, diese nachweislich falsche Informationen zu verbereiten, reagierte Premierminister Jorge del Castillo mit Beschimpfungen und drohte, diese „Zensur“ werde Konsequenzen für den Radiosender haben.

Auch der Nationale Rat für Menschenrechte des Justizministeriums trat an die Öffentlicheit und bestätigte, dass eine Volksbefragung laut peruanischer Gesetzgebung legal und legitim ist, sofern sie entsprechend der vorgeschriebenen Regeln durchgeführt wird, was in diesem Fall zutraf.

Wenige Tage vor der Abstimmung schwenkte die Regierung auf Dialog um. Die drei Bürgermeister der betreffenden Distrikte wurden kurzfristig in die Hauptstadt der Region nach Piura eingeladen um dort mit dem Premierminister persönlich über den Fall zu verhandeln. Die Bürgermeister nahmen das Dialogangebot an, allerdings baten sie angesichts der bevorstehenden Consulta und den damit verbundenen Vorbereitungen um Verschiebung auf ein Datum nach der Durchführung der Abstimmung. Der Premierminister führte daraufhin in Abwesenheit der Bürgermeister eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung in Piura durch, in der er behauptet wurde, die Bürgermeister würden sich dem Dialog mit der Regierung verweigern.

Das Nicht-Erscheinen der Bürgermeister führte zur weiteren Eskalation der Lage: vom Jurado Nacional de Elecciones (nationales Schwurgericht für Wahlen) erging am folgenden Tag Strafanzeige gegen die Bürgermeister der drei Distrikte wegen Überschreitung ihrer Amtsbefugnisse. All jene, die die Abstimmung finanziell und argumentativ unterstützten, sahen sich massiven Drohgebärden ausgesetzt. Die juristisch laut Ansicht der Staatsanwälte in den Regionen kaum haltbare Anzeige gegen die Bürgermeister zeigte autoritäre Züge, wie sie einer Demokratie nicht gut zu Gesichte stehen.

Der peruanische Staat hat bisher in der umstrittenen Region kaum Präsenz gezeigt: in den meisten der 21 Dörfer gibt es allenfalls eine Grundschule, in der ein Lehrer mehrere Klassen gleichzeitig unterrichtet. Außerhalb der Provinzhauptstädte gibt es keine Gesundheitsdienstleistungen. Die Straßen sind schlecht und der Zugang zu größeren Märkten ist für die Bauern entsprechend schwierig. Eine Stromversorgung gibt es nur in den großen Gemeinden, Wasser- und Abwasserversorgung fehlen gänzlich.

Im nach wie vor sehr Hauptstadt-zentrierten Peru war es für viele Beobachter wenig erstaunlich, dass die Regierung den Menschen vor Ort das Recht absprechen wollte, sich zu einer Frage von nationaler Reichweite zu äußern. Immerhin sind in der Region neben dem Kupferprojekt Rioblanco insgesamt mehr als 120.000 Hektar Land für den Bergbau konzessioniert. Dass diese enorm große Fläche heute noch von den letzten Nebelwäldern Perus bedeckt ist, in denen eine Vielzahl seltener Pflanzen und Tiere beheimatet sind, spielte im Diskurs der Regierung keine Rolle. Der World Wildlife Fund (WWF) hatte im Jahr 2005 eine Studie vorgelegt und darauf gedrängt, weite Teile dieses Gebiets unter Naturschutz zu stellen. Die peruanische Regierung hat andere Pläne.

In Peru gibt es bis heute keine Raumordnungspolitik, die eine Zonifizierung in ökologische und ökonomische Nutzungen gewährleisten würde. Statt dessen werden ökonomische Nutzungen, insbesondere der Bergbau, völlig unkritisch vor anderen Nutzungsmöglichkeiten priorisiert. Eine derart verengte Sichtweise kann unter Umständen verheerende Folgen nach sich ziehen. Ein Beispiel: Die Region Piura setzt sich zusammen aus insgesamt 8 Provinzen. In nur zwei dieser Provinzen gibt es Wasser, hier entspringen zwei große Flüsse. Die übrigen 6 Provinzen sind trocken und nutzen das Wasser aus den höher gelegenen Provinzen als Trinkwasser, in ihren Haushalten, für die Landwirtschaft und zum Bewässern der Felder. So können in den tieferen Lagen Piuras mit Unterstützung der internationalen Entwicklungs-zusammenarbeit sehr erfolgreich ökologischer Kaffee (Pidecafé) und Mangos für den Export produziert werden. Versiegen die Wasserquellen im Hochland von Piura, wird dies auch für die tieferen Lagen einschneidende Konsequenzen haben. Wenn also die Pläne der Regierung aufgehen, werden just in diesen zwei für den Wasserhaushalt der Region so enorm wichtigen Provinzen in den nächsten Jahren mehr als 120.000 Hektar Nebelwald und Páramos und somit die Wasserquellgebiete und eine große biologische Vielfalt vernichtet.

Vertreter von Kirche, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, die sich auf nationaler Ebene gegen die Bergbauprojekte in dieser ökologisch äußerst sensiblen Region aussprachen, wurden in den vergangenen Wochen als „rote Pfaffen“, als „Kommunisten“ und als „Terroristen“ beschimpft. Es begann eine regelrechte Hetzjagd gegen alle, die Teil dieses „investitionsfeindlichen Netzwerks“ sind. Teile der Presse schlossen sich der Schmutzkampagne an und attackierten einzelne Personen sowie die sehr verkürzt als „Anti-Bergbau-NGOs“ zusammengefassten Institutionen.

Die Bauern in der Region wurden als gewalttätige Rüpel dargestellt. Für den Tag der Consulta Vecinal wurde deshalb das Zehnfache Kontingent an Polizeikräften in die Provinzen entsandt. Entgegen all der wüsten, von der Regierung gezeichneten Szenarien verlief die Consulta aber in allen drei Provinzen absolut friedlich und ordentlich. Insgesamt nahmen 60% der Bevölkerung an der freiwilligen Abstimmung teil, was angesichts der großen Entfernungen, die von den Bauern zu Fuß zurückgelegt werden müssen und des regnerischen Wetters, als eine hohe Wahlbeteiligung gewertet werden kann. Insgesamt sprachen sich 93% der Bevölkerung gegen den Bergbau aus, 3% dafür, die übrigen 4% der Stimmen waren ungültig. Im Gegensatz zu der erbitterten Debatte vor der Consulta wurde das Ergebnis von der peruanischen Regierung nach der Consulta kaum kommentiert.

Der Diskurs von Präsident Alan García im Zusammenhang mit der Consulta Vecinal war zuweilen sehr aggressiv und einem Staatspräsidenten nicht angemessen. Dahinter mag sein persönliches Trauma stecken, dass in seiner ersten Regierungszeit von 1985 bis 1990 die wirtschaftliche Entwicklung Perus ein absolutes Desaster war. Alan García hatte sich damals aus der Regierung verabschiedet und dem Land eine Inflationsrate von über 7000 Prozent hinterlassen. Für seine zweite Regierungszeit hat er sich deshalb gerade im Bereich Wirtschaft ehrgeizige Ziele gesteckt. Der Staatspräsident sollte aber ein zweites nationales Trauma, das ebenfalls in seiner Amtszeit einen Höhepunkt erfuhr, nicht vergessen: die Zeit der politischen Gewalt und des Terrorismus durch den Leuchtenden Pfad. Die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission weist in ihrem Bericht darauf hin, dass die Wurzeln dieser Zeit der internen Gewalt unter anderem in der ethischen und rassischen Diskriminierung , in der jahrhundertelangen Verachtung und Unterdrückung, in der Vernachlässigung der ländlichen Gebiete durch den Staat und die steigende Armut liegen. Eine Regierung, die mit dem Rücken zu ihrer Bevölkerung lebt, die die tiefe gesellschaftliche Spaltung Perus in ihren Diskursen vertieft anstatt sie zu bekämpfen, läuft Gefahr, die alte Wunde wieder aufzureißen, in der Menschen sich in ihrer ländlichen und bäuerlichen Identität mißverstanden, mißachtet und mißhandelt fühlen.

Fazit:

Die peruanische Regierung ist ganz offensichtlich sehr interessiert daran, ein attraktives Investitionsklima für ausländische Unternehmen zu schaffen. Darunter scheint sie vor allem zu verstehen, dass es keine kritischen Stimmen gegen die Pläne der ausländischen Investoren gibt, dass Firmen ihre Projekte ohne Konsultation der betroffenen Bevölkerung und ohne jeglichen Einwand durchführen können. Dass aber zu einem positiven Investitionsklima auch die Achtung grundlegender Menschenrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Informationsfreiheit, sowie das demokratische Grundprinzip der pluralen Vielfalt von Meinungen sowie das faire Aushandeln von gangbaren Lösungen gehört, scheint die Regierung unter Alan García nicht zu verstehen.

In Bezug auf gute Regierungsführung, Demokratieverständnis und Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien hat die peruanische Regierung in diesem Prozess ein bedenkliches Bild abgegeben. Es wäre wünschenswert, dass sich die peruanische Regierung an ihre Rolle als Vermittler zwischen den Interessen erinnert und sich nicht nur als Motor für Investitonen, sondern auch als Vertreter des Volkes versteht, das sie gewählt hat.

19.09.07

"Unsere Natur ist mehr wert als alles Geld der Welt"

Dorfgemeinschaften im Norden Perus lehnen Bergbau einhellig ab

Geduldig stehen die Campesinos des Distrikts Carmen de la Frontera am frühen Morgen des 16. September 2007 vor dem Stadium der Distrikthauptstadt Schlange und warten auf den Einlass.

Bereits am Vortag haben sich viele von ihnen in die Distrikthauptstadt aufgemacht um dort in einem Referendum ihre Stimme abzugeben. Manche haben einen Fußmarsch von 8 Stunden hinter sich, andere sind auf der Ladefläche eines LKWs oder auf dem Rücken eines Esels angereist.

Die Frage, die in der Volksabstimmung zur Debatte steht, lautet: sind sie damit einverstanden, dass in ihrem Distrikt Bergbau stattfindet? Die am Abend einhellig verkündete Antwort der bäuerlichen Dorfgemeinschaften lautet: Nein!

Drei Distrikten haben zur Beteiligung an der freiwilligen Abstimmung aufgerufen: Carmen de la Frontera, Ayabaca und Pacaipampa. Insgesamt gaben mehr als 18000 Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme ab. Die freiwillige Abstimmung ergab ein eindeutiges Ergebnis: In den drei Distrikten stimmten jeweils mehr als 92% der Bevölkerung gegen den Bergbau, die Stimmen für den Bergbau erreichten in keinem der Distrikte mehr als 2% der Stimmen.

Konkret hatte sich die Debatte um den Bergbau im Norden Perus an dem Kupferbergbauprojekt Rio Blanco entsponnen, das von der britischen Firma Monterrico Metals durchgeführt werden soll. Monterrico Metals wurde Anfang diesen Jahres von dem chinesischen Zijin Konsortium übernommen wurde.

Die 6400 ha Land umfassende Konzession des Projekt Rio Blanco liegt in einem ökologisch sehr sensiblen Gebiet: hier befinden sich auch die letzten Nebelwälder Perus, die Quellgebiet für mehrere Flüsse und Heimat für eine Vielzahl seltener Pflanzen und Tiere sind. Neben dem Projekt RioBlanco gibt es noch eine Vielzahl weiterer Konzessionen, insgesamt beläuft sich die für den Bergbau konzessionierte Fläche auf mehr als 120.000 ha. Die Region unterhalb diesen Landes ist rein landwirtschaftlich ausgerichtet. Neben der Subsistenzlandwirtschaft produzieren hier mehrere Kooperativen ökologischen Fair-Handels-Kaffee, der unter anderem auch in Deutschland vermarktet wird, sowie Mangos, Orangen, Zitronen und andere Produkte für den Export. Die landwirtschaftliche Produktion würde durch die geplanten Bergbauvorhaben massiv gefährdet. Der World Wildlife Fund for Nature (WWF) hat sich ganz entgegen der Pläne der peruanischen Regierung für die Einrichtung eines großen Naturschutzparks in dieser Region ausgesprochen, internationale Umweltschützer sind über die Bergbaupläne sehr alarmiert.

Die Debatte um den Bergbau im Norden Perus wurde denn auch weit über die Region hinaus auf nationaler und internationaler Ebene geführt. Die Regierung unter Alan García setzte sich für die Durchführung des Bergbauprojekts ein und hatte mit allen Mitteln versucht, die Volksabstimmung vom 16.9.2007 zu vermeiden, wissend, dass die Mehrzahl der vor Ort lebenden Bürger sich gegen den Bergbau aussprechen würde. So durften die Schulen die Klassenräume nicht als Wahllokale zur Verfügung stellen, die nationalen Wahlbehörden verweigerten die Mitarbeit bei der Durchführung der Abstimmung und deklarierten den Prozess als illegal. Die Bürgermeister der drei Distrikte mussten sich als Kommunisten und Investitionsfeinde beschimpfen lassen. Die Regierung hat Anzeige gegen die drei Bürgermeister erstattet.

Rückenstärkung erhielten die Menschen in der Region von der Defensoría del Pueblo (Ombudsmann des Volkes), die mehrfach wiederholte, dass die Volksbefragung ein sowohl legales als auch legitimes Instrument zur Bürgerbeteilung sei. Selbst vom Justizminister musste sich Staatspräsident Alan García korrigieren lassen: der Prozess war im vollen Einklang mit der peruanischen Gesetzgebung und wurde ordnungsgemäß durchgeführt.

Auch das Unternehmen versuchte die Bauern der Region mit sehr hohem Einsatz von ihrem Nein abzubringen. So bot das Unternehmen den Dorfgemeinschaften Segunda y Cajas und Yanta wenige Tage vor der Abstimmung einen Entwicklungsfonds von 80 Millionen US Dollar an, wenn sie dem Bergbauprojekt zustimmen würden.

Die Bauern in den 3 Distrikten ließen sich von der hitzigen, zum Teil sehr polemisch geführten Debatte, nicht beeindrucken. In aller Ruhe waren sie am Wochenende in die Provinzhauptstädte marschiert, selbst der anhaltende Niesellregen konnte sie nicht davon abbringen, ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Auf die Frage, warum sie solche Mühen auf sich nehmen, antworten sie: „Unser Herz hat uns hergeführt. Wir wollen uns gegen den Bergbau aussprechen. Die Natur ist unser einziger Reichtum, und den werden wir verteidigen. Auch wenn der Präsident uns als arme Teufel hinstellt und glaubt, nur weil wir Ponchos tragen, sind wir nicht in der Lage, die Konsequenzen dieser Projekte abzuschätzen: wir werden ihn eines besseren belehren.“

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12.09.07

5 Wochen nach dem Erdbeben in Peru

Carlos Levano ist Lehrer an einer Schule in Ate Vitarte, einem Stadtteil im Armengürtel von Lima. Seine Familie lebt in Chincha, eine der Städte, die am schlimmsten von dem Beben betroffen war. Am 15.08.2007 stürzte ihr Haus und damit all ihr Hab und Gut innerhalb weniger Minuten zusammen. Zurück bleibt ein Haufen Schutt und die Frage: Wie geht es weiter?"Zum Glück ist keiner meiner Familienangehörigen um’s Leben gekommen“, berichtet Carlos. Alle konnten sich rechtzeitig auf die Straße retten und nur noch von draußen zusehen, wie die Welt um sie herum buchstäblich zusammenbrach. Das kleine, aus Lehmziegeln gebaute Haus der Familie, ist ein Trümmerhaufen. Seit 5 Wochen campiert die Familie in einem Zelt vor dem GrundstückDie über 80jährige Mutter sowie die beiden Brüder von Carlos, der eine behindert, der andere arbeitslos, hängen finanziell von dem mageren Gehalt von Carlos ab.

Ein paar Tage dem Erdbeben rief mich Nilton an, ein Freund und der Bruder von Carlos. Er erzählte mir, dass seine Familie schwer von dem Beben betroffen sei. Er bat mich um Hilfe. Statt Nahrungsmittel und Kleider zu sammeln, spendete ich Geld, mit dem die Familie sich Wasserbehälter, Lebensmittel, Decken und Medikamente kaufte.

Die erste Hilfe des Staates traf erst 3 Tage nach dem Beben ein. Auf den zentralen Plätzen der Stadt wurden nach Aussage von Carlos Lebensmittel, Wasser und Kleidung verteilt. „Es hat von Anfang an an Organisation gefehlt. Da stellten sich zum Teil 12 Mitglieder der gleichen Familie in der Schlange an und alle bekamen etwas von den Hilfslieferungen ausgehändigt, ohne Strategie, ohne Plan. So haben einige Familien stark von den Lieferungen profitiert, während andere nichts von der Verteilung wussten oder ihr Hab und Gut nicht zurücklassen wollten, weil es ja auch viele Plünderungen gab. Die saßen dann da, und hatten gar nichts.“

Auf die Frage, wie es denn jetzt, 5 Wochen nach dem Erdbeben, vor Ort aussehe, antwortet Carlos: „Seit einer Woche sind wir wieder alleine. Die Zentralregierung und die Regionalregierung streiten sich darum, wer die Koordination des Wiederaufbaus übernimmt, und wir sitzen derweil wieder ohne Hilfe da.“ Nach den ersten Hilfslieferungen hatte die Regierung Bagger und LKWs geschickt, um mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. Hilfstrupps halfen beim Abtransport des Schutts. Inzwischen steht die Aktion still. „Es ist nach wie vor das gleiche Problem. Es fehlt an Koordination, an einem strategischen Plan,“ sagt Carlos. „Alle wollen zuständig sein, und sich zum großen Protagonisten aufspielen, und die Leidtragenden sind wir.“

Auch die staatliche Bürokratie macht Probleme: „Wir müssen uns stunden- und tagelang anstellen, um offiziell als Erdbebengeschädigte im Register eingetragen zu werden. Das ist ein aufwändiges Verfahren. Uns kostet es Zeit und Nerven, die wir an anderer Stelle dringend benötigen.“ Die Regierung begünstigt beim Wiederaufbau in erster Linie die Eigentümer der Häuser. Carlos und seine Familie, die in dem Haus in Miete wohnten, wissen nun nicht, was das für sie bedeutet. Werden sie wieder in das neu gebaute Haus einziehen können? Haben sie darauf einen Rechtsanspruch. All diese Fragen sind ungeklärt. Überhaupt funktioniert der Informationsfluss nicht: „Die Bürger sind nicht informiert über Registrierungen, über die Hilfsmaßnahmen der Regierung, über den Master-Plan, wenn es denn einen gibt.“

Auf die Frage, was er sich für die nächsten Wochen am dringensten erhofft, antwortet Carlos: „Dass man uns nicht alleine läßt. Wir sind zwar arm – aber wir sind auch Teil dieses Landes.“

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11.09.07

Das Menschenrecht auf einen Fußballplatz

Also... ich bin ja nun in Peru schon einigermaßen rumgekommen. Ich habe viele Entbehrungen gesehen - Dörfer ohne Gesundheitsposten, ohne Lehrer, ohne eine Schule, die den Namen verdient. Dörfer ohne Kirche, ohne eine anständige Straße, ohne Strom, ohne Wasser- und Abwassersystem. Dörfer ohne Läden, Dörfer ohne Busverbindung, Dörfer ohne Rathaus. Aber egal, wo man hinkommt, egal, wie abgelegen ein Dorf ist, ob mitten im Regenwald oder auf 4500 m über dem Meer - kein Dorf ohne Fußballplatz!!!

....als ob so ein Fußballplatz das einzige Menschenrecht wäre, das es verdient, zu 100% umgesetzt zu werden!

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Rustikale Gesundheitsversorgung

Klappernd und holpernd schiebt sich der Pickup-Truck über die auf über 4000 m über dem Meer gelegene Hochebene in den Anden. Vor uns ebenfalls ein Pickup, der ganz offensichtich hoffnungslos überladen ist und es nicht mehr über eine kleine Anhöhe schafft. Die Leute hinten auf der Ladefläche bedeuten uns, ob sie bei uns mitfahren können. 5 Leute kriegen wir bei uns unter, 4 auf der Rückbank, einer auf der Ladefläche. In dem anderen Fahrzeug bleiben immer noch 9 Leute. Unsere Mitfahrer erzählen uns, sie seien unterwegs in ein Dorf, dort hinter der Lagune, um dort ein Impfprogramm sowie ärztliche Untersuchungen durchzuführen.Sie alle arbeiten beim staatlichen Krankenhaus in Huamachuco und opfern jeweils einen Samstag pro Monat ihre Freizeit, um diese rudimentäre Gesundheitsversorgung in den weit von der Stadt entfernten Dörfern zu gewährleisten. Die Medikamente, Instrumente und den Pickup-Truck stellt das Krankenhaus zur Verfügung. Ein Pickup-Truck für 14 Leute... über mehr gelängegängige Fahrzeuge verfügt das Kankenhaus nicht. Nach ca. 30 Minuten kommen wir in dem Caserío an, dem kleinen Weiler ohne Namen. 6 ärmliche Gehöfte, ca 70 Leute wohnen dort, leben fernab von jeglicher Zivilisation, Bauern sind sie, die Erde gibt nicht viel her hier oben.Die gesamte Dorfgemeinschaft hat sich schon in Erwartung des Impfkommandos versammelt. In bunten Kleidern sitzen Frauen, Männer und Kinder vor der Dorfschule und harren der öffentlichen Sprechstunde. Ärzte, Zahnärzte und Krankenschwestern bauen in und vor der Schule ihre „Sprechzimmer“ auf, Spritzen und Arzneimittel werden aus Kartons geholt, und dann beginnt die ärztliche Konsultation. Als Lockmittel werden belegte Brötchen und Coca Cola angeboten, das erhöht den Anreiz, sich dieser Strapaze auszusetzen. Wen die Brötchen nicht locken, den lockt die Neugier. Wenigstens ist mal was los im Dorf!Alle schwangeren Frauen in das Klassenzimmer, der Zahnarzt operiert unter freiem Himmel, auch die Tetanus-Impfungen finden vor den Augen des gesametn Dorfes statt. Im Nu geht die Massenversorgung los. Kleine Kinder schreien beim Anblick der Spritzen, da werden Zähne mit der Zange gezogen und einzelne Tabletten verabreicht.
Keine Betäubung, keine sterilen Geräte, es geht sehr rustikal zu bei dieser Gesundheitskampagne, und doch stellt sie für die kleine Dorfgemeinschaft einen großen Fortschritt dar. „Bist Du der Bruder von dem kleinen Jaime? Sag Deiner Mama, sie soll ihn in 8 Wochen wieder zur Kontrolle hierher bringen“ Artig nickt der Bruder und trottet mit Jaime an der Hand nach Hause. „Am 17. November“, murmelt er dabei unerläßlich vor sich hin, damit er das Datum auch ja nicht vergißt.

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Goldgräberstimmung am Cerro del Toro

Meine jüngste Reise führte mich in die Region La Libertad – zu deutsch „Die Freiheit“. Das Thema, das mich dort beschäftigen soll, verursacht aber eher Beklemmungen als Freiheitsgefühle: Ich beschäftige mich in der Stadt Huamachuco mit dem Thema des kleinhandwerkllichen Bergbaus: Hunderte von Goldgräbern schürfen am Cerro del Toro, einem Berg, der 2 Kilometer vom Stadtzentrum Huamachucos entfernt liegt, nach Gold. Wie die Maulwürfe graben sie sich immer tiefer in den Berg hinein, der inzwischen akut einsturzgefährdet ist, weil er derart ausgehöhlt wurde, dass er jeden Moment abrutschen kann. Die Tunnel führen bis zu 200 m tief in den Berg hinein, und nur in den seltensten Fällen sind sie auch nur provisorisch abgestützt. Mehrere Minenarbeiter kamen in einstürzenden Tunneln um’s Leben, häufig arbeiten Kinder in den Stollen und holen das Gestein aus dem Berginneren.
Die Konzentration des Goldes liegt bei 2-3 Gramm pro Tonne Gestein. Ausgewaschen wird das Gold – genau wie im großindustriellen Bergbau – mit der hochgiftigen Chemikalie Zyanid. Diese bindet den feinen Goldstaub und löst ihn aus dem Gestein bzw der Erde heraus. Das Gold klumpt zusammen, zurück bleibt eine toxische Brühe aus Wasser und Zyanid und das vergiftete Erdmaterial. In rustikalen Becken, die in den Berg gegraben und mit einer dünnen, blauen Plastikfolie ausgelegt sind, wird dieser chemische Prozess unter freiem Himmel vollzogen.
Zwischen 300 bis 400 solcher Becken soll es auf dem Cerro del Toro geben, allerdings sind diese Angaben nicht bestätigt, weil die Bergbauern den Zugang zum Berg verweigern. Die Zyanidbrühe wird mit dem Regen in die Flüsse und auf die Felder geschwemmt. Das Wasser des nahegelegene Toro-Fluss ist mit Schwermetallen und giftigen Stoffen durchsetzt und wurde inzwischen als ungeeignet für den Konsum durch Mensch und Tier erklärt. In Ermangelung anderer Alternativen und aufgrund der mangelnden Aufklärung über Gesundheitsrisiken decken die Dorfgemeinschaften weiter flussabwärts ihren Wasserbedarf nach wie vor aus dem Fluss. Erkrankungen von Mensch und Tier sind die Folge.

Als Antwort auf den wachsenden Druck von Seiten der Bevölkerung und einiger Behörden haben die Goldschürfer ein privates Sicherheitsunternehmen mit der Absperrung des Berges beauftragt. Das Unternehmen hat bewaffnetes Personal an allen Zugängen positioniert und weder der Staat noch Medien konnten sich in den zurückliegenden Monaten Zugang zum Berg verschaffen.

Nach Angaben der Umweltabteilung der Stadtverwaltung von Huamachuco werden am Cerro del Toro monatlich 3-4 Tonnen Zyanid für die Goldgewinnung „verarbeitet“.

Ein Filtersystem, Umweltschutzmaßnahmen oder eine staatliche Aufsicht gibt es nicht. Keine Umweltverträglichkeitsstudie, keine Steuerzahlungen – die ganze Aktivität ist hochgradig illegal, doch da angeblich der Regionalpräsident von La Libertad sowie andere hohe Funktionäre selbst in die illegalen Goldschürfereien am Cerro del Toro involviert sind, verlaufen Anzeigen und Notstandserklärungen im Sande.

Der anhaltend hohe Goldpreis von ca. 680 USD pro Unze Gold macht den Goldabbau nicht nur für die großen, internationalen Unternehmen, sondern auch für kleine Goldschürfer zu einem lukrativen Geschäft. Viele Goldschürfer wissen nicht, welchen gesundheitlichen Schädigungen sie sich mit ihrer Aktivität aussetzen. Die meisten der Goldschürfer am Cerro del Toro sind ohnehin nicht die Eigentümer der Konzession, sondern Arbeiter, die nur einen Bruchteil dessen verdienen, was sie unter Einsatz ihres Lebens für ihre Arbeitgeber produzieren. Doch ein schlechter Job ist besser als kein Job. Und Menschen ohne Job gibt es in Peru mehr als genug....

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