Wandern zwischen den Welten....

30.10.05

Zwischen Blutwurst und Merengue....

Meinen 36. Geburtstag feiere ich in Santa Cruz, Bolivien. Ich nehme hier – gemeinsam mit 6 Vertretern von Partnerorganisationen aus Peru – an einem internationalen Seminar zu „Bürgerbeteiligung und Sozialer Kontrolle“ teil. Die Teilnehmer kommen aus Venezuela, Costa Rica, Honduras, Bolivien und Peru.

Ich habe niemandem von meinem Geburtstag erzählt, um so überraschter bin ich, als die gut 70 Teilnehmerinnen am Morgen, als ich den Konferenzraum betrete, zum Geburtstags- ständchen anheben. Ich werde mit Blumen geschmückt und mit vielen Umarmungen und Küsschen bedacht und alle wünschen „feliz cumpleaños“.

Für den Abend steht das „Casa de Camba“ auf dem Programm, ein typisches Restaurant mit typischem Essen wo ich typischerweise mal wieder unter den ersten eintreffenden Gästen bin, während der Rest der Truppe über die nächsten zwei Stunden verteilt einlaufen wird. Nicht nnur die Gäste, sondern auch das Essen läßt auf sich warten und um die Zeit zu überbrücken, singen mir meine Kollegen zum x-ten Male ihr spanisches Happybirthday und die Kellner beeilen sich, eine kleine Hochzeitstorte samt Kerze aus der Küche herbeizuschaffen. Inzwischen ist es schon kurz vor zehn, meine peruanischen Kollegen sind soeben auch (als letzte...) eingetroffen, und da wir nun doch schon geraume Zeit fleisch- und reislos da sitzen, bringen uns die Kellner gnädigerweise zum Auftakt bunte Salatteller, welche von den Kollegen aus Honduras, die um mich herumsitzen, zunächst misstrauisch beäugt und schliesslich verächtlich in die Tischmitte geschoben werde. Bediene sich wer mag – wir sind schließlich keine Kühe!! Ich bediene mich gerne, der Salat ist überaus lecker und so bin ich denn auch schon relativ satt und zufrieden, als nach einer weiteren halben Stunde endlich riesige heiße Steine mit Bergen von Fleisch, Wurst und gebratenen Innereien auf den Tisch kommen. Die Augen meiner Nebensitzer leuchten auf, während sich mir beim Anblick dieser Fleischberge eher der Magen verschließt. Ich nehme mir höflich ein Stück Fleisch, von dem ich einen kleinen Teil abschneide und das ich dann mit dem Argument, es sei noch nicht genug durchgebraten, zurück auf den heißen Stein lege, von wo es den Weg nicht mehr zurück auf meinen Teller finden wird. Ich nehme mir statt dessen noch etwas von dem verschmähten Salat und beobachte mit staunenden Augen, wie meine Tischgenossen sich ein Stück Fleisch, Blutwurst, Chorizo... nach dem anderen auf den Teller laden und verschlingen. Die Szene ruft irgendeine ferne Erinnerung in mir wach, ich weiß nur nicht genau, wo ich das schon mal gesehen habe. Dann komme ich drauf – es handelt sich um eine Szene aus einer meiner Lieblingskinderserien: „Michel aus Lönneberga“. Da gibt es in einer Folge ein Schlachtfest, zu dem alle Nachbarn und Verwandten eingeladen sind. Die Leute sitzen wie wir alle um eine riesige Tafel herum und laden sich bergeweise Kochwürste und Siedfleisch auf den Teller und essen, bis ihnen die Wurst fast schon wieder zu den Ohren rauskommt und sie sich vor lauter Völlerei kaum mehr bewegen können. Immerhin im letzten Punkt beweisen meine Latinos aber deutlich mehr Härte – und fordern mich als Geburtstagskind natürlich als erstes zum Tanzen auf. Meine Salsa- und Merengue-Kenntnisse stehen leider im krassen Gegensatz zu meinen 36 Lebensjahren und es ist mir äußerst peinlich, nun vor mindestens 70 neugierigen Zuschauern meine Unkenntnis zur Schau zu stellen. In Lateinamerika zu leben und die lateinamerikanischen Tänze nicht zu können ist ungefähr so, wie wenn man am Nordpol nicht fischen kann.

Aber so ist es, ich kann es auf die Schnelle nun auch nicht ändern und so nehme ich’s mit Humor und mache fröhlich weiter mit meinem improvisierten Gewackel. Der Abend ist trotz der eigenartigen Mischung aus Blutwurst und Merengue ein wirklich netter Auftakt in’s neue Lebensjahr und steht vermutlich stellvertretend für viele noch zu erwartenden - mal lustigen, mal exotischen, mal befremdlichen - Erlebnisse, die mich im kommenden Lebensjahr in meiner neuen lateinamerikanischen Heimat noch erwarten.....

16.10.05

Earth.Google.com

...und allen, die gerade nicht das Geld für ein Flugticket nach Peru haben, um mich hier besuchen zu können, empfehle ich www.earth.google.com

Einfach die kleine, kostenlose Software herunterladen, dann unter "Fly to" das Reiseziel eingeben, und los geht ein faszinierender Flug um die Erde. In Lima angekommen, könnt Ihr Euch bis in meine Straße runterzoomen. Ich hab' zur besseren Orientierung mal einen Landkartenausschnitt beigefügt!
Also: Schaut doch mal rüber auf diese Seite des Atlantiks!

...was nicht heißen soll, dass Ihr nicht trotzdem für das echte Flugticket sparen solltet :-)

Endlich Sommer

Es wird Sommer in Lima.... endlich! Nach mehr als einem Jahr Dauerwinter, weil ich vom deutschen Winter in den peruanischen Winter ausgewandert bin, wird es nun endlich, endlich sonnig, warm, hell, freundlich... Die limeñischen Nebelschwaden lichten sich, fast täglich kommt jetzt die Sonne zum Vorschein. Gestern abend konnte ich zum ersten Mal seit ich hier wohne einen veritablen Sonnenuntergang von meinem Wohnzimmerfenster aus betrachten - bis dato war da immer zu viel grauer Nebel dazwischen. Die Temperaturen klettern langsam aber stetig, die Feuchtigkeit in Schränken und Klamotten nimmt genauso stetig ab, und die gute Laune steigt. Die Limeños legen schon mal die Strandsachen bereit, die Restaurants stellen ihre Gasheizungen in die Ecke – es wird Sommer in Lima, und ein schon fast vergessenes Gefühl macht sich breit!

Für alles ein Trámite

„Trámite“ – das ist in Peru ein überaus wichtiges Wort. Ein jedes Ding hat sein „trámite“. Übersetzen läßt sich dieses Schlüsselwort am besten mit „bürokratisches Verfahren“. Und das gibt’s – wie gesagt – für alles und jedes und bei jeder Gelegenheit. Zum Beispiel neulich - beim Eiskaufen. Wer denkt, man könne so einfach an die Eisvitrine treten und ganz formlos sagen „ich hätte gerne eine Kugel Eis im Becher“ und diese dann entgegen nehmen, um sich sogleich dem Eisgenuss hinzugeben – der irrt. Und zwar gewaltig. Man geht hin. Und sagt dann auch tatsächlich „ich hätte gerne eine Kugel Eis im Becher“. Soweit so gut. Doch dann wird man mit einem bedauernden Kopfschütteln Richtung „Kasse“ geschickt – da sitzt eine Person am anderen Ende der Eisvitrine. Dort wiederholt man sein Anliegen. Woraufhin das Gegenüber den entsprechenden Betrag in die Kasse eintippt, das Geld in Empfang nimmt und einem den Kaufbeleg (im folgenden der Einfachheit halber „Zettel Nr. 1“ genannt) sowie einen (zunächst noch recht ominösen...) Zettel mit einer Nummer aushändigt (im folgenden der Einfachheit halber „Zettel Nr. 2“ genannt). Daraufhin begibt man sich wieder an die Eisvitrine, formuliert erneut seinen Wunsch „ich hätte gerne eine Kugel Eis im Becher“ und reicht brav die beiden Zettel Nr. 1 und Nr. 2 ein. Freundlich aber bestimmt wird man darauf hingewiesen, dass man erst warten müsse, bis die auf dem Zettel Nr. 2 angezeigte Nummer im Display über der Eisvitrine erscheint. Ich trete also betreten zurück und warte, bis ich an der Reihe bin. Wacker trete ich nach Aufblinken der auf meinem Zettel Nr. 2 aufgedruckten Nummer zum dritten Mal an die Truhe, die das kühle Süß enthält. Ich reiche erneut meine Zettel Nr. 1 und Nr. 2 ein und wiederhole mein Anliegen „ich hätte gerne eine Kugel Eis im Becher“. Eine Person nimmt mir Zettel Nr. 2 ab und überprüft, ob ich tatsächlich schon an der Reihe bin. Nach bestandener Prüfung nimmt eine weitere Person meinen Zettel Nr. 1 entgegen und fragt mich, was ich haben möchte. Ich wiederhole meinen Wunsch „ich hätte gerne eine Kugel Eis“. Die Person versichert sich zunächst, ob mein mündlich formuliertes Anliegen mit dem auf dem Zettel Nr.1 abgedruckten Preis übereinstimmt, setzt einen ordentlichen Haken hinter den Kaufpreis und spießt meinen Zettel Nr. 1 dann auf einem Spieß mit vielen ähnlich aussehenden Zetteln Nr. 1 auf. Sie greift zum Eislöffel, formt eine riesengroße Kugel, setzt sie in einen Becher und reicht mir das Eis. Und auch wenn das nicht zu meinem eigentlichen Wunsch passt, ein paar Kilo abzunehmen, nehme ich das Eis entgegen in dem Gefühl, mir das nun wirklich verdient zu haben. Ach ja – vielleicht noch eine letzte Anmerkung: ich bin die einzige Kundin in der Eisdiele!

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Deine Lieblingsmusik im Internet

...und noch eine nette neue Seite im Internet für alle Musikliebhaber: www. pandora.com
Wie funktioniert's? Du gibst ein paar Deiner Lieblingslieder ein, und dann stellt das Programm ein ganzes Musikprogramm individuell für Dich und ganz nach Deinem Geschmack zusammen. Die ersten 10 Stunden sind gratis...

06.10.05














DAS LEBEN IST NICHT DAS,
WAS WIR VON IHM ERWARTEN,

SONDERN DAS,
WAS UNS PASSIERT.....

NLP und interkulturelle Kommunikation



















Mal wieder... mein Lieblingsthema :-)


Für alle, die sich auch für NLP und Interkulturelles interessieren, hier ein Link zu meiner NLP-Master-Arbeit

Der Mann an der Tür

Der Mann an der Tür ist klein (er reicht mir gerade mal bis zur Schulter), ein wenig untersetzt, grauhaarig, vielleicht 50, vielleicht 60, ich kann es schwer einschätzen. Er trägt immer den gleichen braunen Pullover, die gleichen braunen Hosen, manchmal – an diesen kalten, grauen Nebeltagen, die seit Wochen über Lima hängen – unter dem braunen noch einen grauen Rollkragenpullover. Er ist immer freundlich – „buenos días, señorita“, „cómo está, señorita?“. Er beendet jeden Satz mit „señorita“ – was bei mir eine ganze Reihe seltsamer Gefühle auslöst, von Scham über Verlegenheit bis dahin, dass ich mich gleich mindestens zehn Jahre jünger fühle. Er öffnet mir die Tür, er hilft mir mit den Einkaufstüten, die ich inzwischen oft genug in meinen Rucksack stopfe, damit er nicht sieht, dass ich schon wieder etwas gekauft habe, Geld ausgegeben habe, er muss ja denken, dass ich im Geld schwimme, und letztlich hat er damit irgendwie – zuminest aus seiner Sicht - auch gar nicht so unrecht. Es ist mir peinlich, dass ich ständig neue Dinge kaufe – für meine Wohnung, für den Haushalt, für mich, Dinge, die ich brauche, und von denen er mir sicher zustimmen würde, dass ich sie brauche, die er aber genauso sicher nicht in seinem eigenen Haushalt hat, weil er sie sich nicht leisten kann. Ich sehe ihn jeden Tag, wenn ich aus dem Haus gehe – seine Schicht beginnt morgens um sieben und endet abends um sieben, dann wird er von einem anderen Mann mit braunen Pullover abgelöst, jünger dieser, und weniger unterwürfig, deshalb für mich auch nicht mit so vielen zwiespältigen Gefühlen behaftet.Ich weiß nicht einmal wie er heißt, der kleine untersetzte Mann mit dem braunen Pullover, aber er weiß viel über mich: wann ich aus dem Haus gehe, wann ich zurückkomme, wann ich einkaufe, wann ich auf Reisen gehe, wann ich wie Besuch habe, wann ich den ganzen Tag alleine zu Hause bin, wann ich in’s Büro gehe, wie lange ich arbeite, er kennt meine Freunde und meine Gewohnheiten, weiß, wann ich morgens zum Joggen oder Schwimmen gehe und wie fit ich am jeweiligen Tag bin. Er weiß so viel über mich, und doch behandelt er mich nach fast 8 Monaten nicht anders als bei unserer ersten Begegnung: „Buenos días, señorita“, „Cómo está, señorita?“. Er ist ein treuer Diener, stets freundlich, aufmerksam „lassen Sie mich das tragen, señorita!“ und behandelt mich wie eine Prinzessin, schleppt für mich, öffnet die Tür, ruft den Aufzug, lächelt zurückhaltend. Stets zu Diensten. Der Mann mit dem braunen Pullover – ich frage mich oft, wie und wo er selbst wohl lebt? Ob er verheiratet ist? Kinder hat? Was er wohl über mich denkt? Und welches Bild er sich von mir macht, wenn meine Möbel geliefert werden, wenn ich meine Einkaufstüten nach Hause trage, wenn meine Freunde zu Besuch kommen? Er weiß, was ich an Miete bezahle (ungefähr das Acht- bis Zehnfache von dem, was er pro Monat verdient...) und ich fühle mich schlecht und ich schäme mich und verstecke weiter meine Tüten vor ihm in meinem Rucksack. Heute habe ich ihm einen Kuchen vom Bäcker mitgebracht, weil doch peruanischer Unabhängigkeitstag ist. Unabhängig? Wer ist hier unabhängig? Und von wem? Und warum habe dann also ICH frei, während der Mann im braunen Pullover unten sitzt, in seinem Kabäuschen neben dem Eingang, von sieben bis sieben, und das Haus bewacht, uns Reiche beschützt vor den bösen Armen, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen als in die Häuser derer einzubrechen, die all das haben, was sie auch gerne haben wollen. In erster Linie: Unabhängigkeit....

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Nicht viel "Ur" und auch nicht mehr viel Wald....


Donnerstag Abend, ich bin vor zwei Stunden aus dem Flugzeug gestiegen, habe mich mit dem Taxi den immer wieder auf’s Neue irgendwie sehr wenig einladend wirkenden Weg vom Flughafen zu meiner Wohnung kutschieren lassen, die Reisetasche in die Ecke gestellt, mir zur Feier des Abends ein Glas leckeren Rotwein eingegossen... und mich an den Computer gesetzt! Zu Hause. Wie schön! Ich bin zurück im chaotischen Lima, dieser Stadt, die sich dem Ankommenden so unglaublich abweisend präsentiert und die doch meine Heimat ist, zumindest im Moment....

Die ersten Stunden nach einer Reise sind immer die besten, um die Eindrücke der letzten Tage nochmal Revue passieren zu lassen, um im Geiste nochmal zurückzufliegen in den peruanischen Urwald, um die vielen Begegnungen noch einmal vor dem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen. Denn während die Seele sich erst noch ihren Weg nach Lima bahnen muss und irgendwo zwischen dem heißen, subtropischen Tarapoto und dem nach wie vor neblig-grauen Lima herumfliegt, während ich nicht mehr ganz dort aber auch noch nicht wirklich hier bin, sind die Erinnerungen noch lebendig, die Farben leuchten noch, ich habe die Gerüche noch in der Nase, die Geräusche klingen noch nach, auch die Gespräche sind noch präsent und es hat sich noch kein Alltag zwischen diese vielen, eindrücklichen Bilder und Gespräche gelegt.... es drängt mich in diesen Momenten immer sehr, etwas von meinen Gedanken zu Papier – oder besser gesagt zu Computer – zu bringen.... ein Impuls, dem ich folge, so oft ich kann, denn er hilft mir, mich zu erden, hilft mir beim Ankommen und läßt mich noch für eine Weile vergessen, dass ich wieder alleine bin in meiner Wohnung in Lima.

Meine soeben beendete Reise hat mich in den peruanischen „Urwald“ geführt, genauer gesagt nach Yurimaguas und Moyobamba, beides mittelgroße Städte in der Region San Martin, in einer Landschaft, die sich malerisch „Augenbraue des Urwalds“ nennt. Es handelt sich um die Osthänge der Anden, die regenreich und tropisch warm sind und an denen sich grüne Wälder Richtung Amazonasbecken erstrecken. Die Städte dort sind lebendig, quirrlig, laut. Die Menschen sehen anders aus als in Lima, und erst recht anders als im Hochland der Anden. Als ich in Tarapoto aus dem Flugzeug steige, fühle ich mich mit einem Schlag nach Afrika versetzt – der Duft von feuchter, warmer Erde, die heiße Sonne, die von Blütenduft, Früchten und Holzfeuer schwere Luft schlagen mir entgegen und ich bin ganz benommen von den vielen Sinneseindrücken. Mein Kollege Juan lacht, ich sei wohl nach der stinkenden Abgasluft Limas nun ganz „besoffen vom vielen Sauerstoff“ – und ich glaube, er hat recht!

Dies ist meine erste Reise in die peruanische Selva – die Bezeichnung „Urwald“ allerdings hat ihre Berechtigung längst schon verloren, wie ich in den nächsten Tagen immer und immer wieder sehen und hören werde. Von UR... ist hier nicht mehr viel zu spüren, wenngleich zum Glück noch etwas Wald zurückgeblieben ist. Die „Augenbraue“ des Urwalds hat in den letzten 20 Jahren eine heftige Rasur erlitten und gleicht inzwischen an vielen Stellen nurmehr einem Stoppelfeld. Grund für den radikalen Kahlschlag sind neben den massiv vordringenden, internationalen Holzkonzernen auch die in Heerscharen und wie Heuschrecken über das Land herfallende Kleinbauern, die den Wald als unerschöpfliche Quelle betrachten und rausholen, was rauszuholen geht. Sie kommen aus den kargen Höhen der Anden ins Amazonasland, seit vielen Jahren schon und in großer Zahl, besetzen illegal große Landflächen oder pachten zu einem Spottpreis von den indigenen Völkern, die zwar die Landtitel besitzen, sie aber oftmals nicht zu schützen wissen. Bauern aus Cajamarca oder anderen Teilen Nordperus kommen auf der Suche nach fruchtbarem Land, sie holzen den Wald ab und legen Felder an – Reisfelder größtenteils, die durch die extensiven Anbaumethoden schon nach wenigen Jahren total ausgelaugt sind und dann landwirtschaftlich kaum mehr nutzbar sind. Auch Kaffee, Kakao, Palmherzen, Palmöl oder Zitrusfrüchte werden angebaut – und dort, wo Monokulturen sich breit machen, heißt das auch immer radikale Ausbeutung der Ressourcen. Zurück bleibt unfruchtbares Land, trocken, ohne Bäume, ohne Büsche, der Wüstenbildung preisgegeben. Ist das Feld abgeerntet, kommt das Feuer – die Bauern brennen die Reishalme ab, um das Feld „zu säubern“ – eine Praxis, die in Peru zwar schon seit geraumer Zeit verboten ist und aufgrund der anhaltenden Trockenheit im „Urwald“ jüngst zu großen Waldbränden führte. Doch keiner schert sich um die überall schwelenden Feuer, es gibt keine Strafen und so setzt sich diese Praxis weiter fort. Gibt das Feld nach ein paar Jahren absolut nichts mehr her, holzen die Bauern weitere Waldbestände ab, legen neue Felder an, bauen dort ihren Reis an oder andere, meist für den Export bestimmte Produkte – bis die Felder wieder ausgelaugt sind... und so geht es weiter, weiter, weiter... bis vom Urwald kein Wald mehr übrig bleibt, und schon gar kein „Ur“-Wald.

Es ist ein erschreckender Prozess, der schier unaufhaltbar zu sein scheint, auch wenn inzwischen am Straßenrand Schilder dazu auffordern, den Wald zu schützen, oder kein Feuer zu legen. Gleich hinter einem dieser Schilder steigt eine große, schwarze Rauchwolke in den Himmel – es erscheint mir wie ein bitterer Zynismus, dieser offenkundige Widerspruch zwischen Theorie und Praxis.

Das Gespräch mit dem Beauftragen für Umweltschutz in der Regionalregierung von San Martin bringt auch wenig Hoffnung – erstens ist er durch den x-ten Regierungswechsel, der jedesmal auch einen Austausch der gesamten Funktionäre in der Regierung mit sich bringt, erst seit 8 Tagen im Amt und muss sich erst mal eindenken, einarbeiten, die Pläne seines Vorgängers umformulieren und seinen Vorstellungen anpassen. Vermutlich ist er spätestens zu diesem Zeitpunkt auch schon wieder aus dem Amt verschwunden, weil ein Wechsel des Regionalpräsidenten mal wieder zum Austausch sämtlicher Funktionäre führt. Wenn sich aber die Regierung ausnahmsweise mal länger als ein Jahr im Amt halten sollte und er mit seiner Arbeit weiter als bis zum obligatorischen „Umplanen“ kommt, dann werden die Strategien, die er uns freudestrahlend präsentiert, wohl auch nicht den großen Umschwung bringen: der Beamte hofft in erster Linie auf die erfolgreiche Umsetzung neuer Gesetze und Anordnungen der Regierung, und präsentiert uns auch gleich freudestrahlend irgendeine „ordenanza“, die demnächst vom Umweltausschuss diskutiert und dann in Kraft treten soll.... doch welches Gesetz wäre in Peru nicht schon erfolgreich umgangen worden? Gerade dort, wo mächtige ökonomische Interessen im Spiel sind, ist das Papier, auf dem die peruanischen Gesetze geschrieben sind, besonders geduldig. Die Umweltgesetzgebung Perus ist nicht schlecht – aber die praktische Umsetzung ist eine Katastrophe (siehe oben erwähnte Brandrodungen). Angefangen von sich widersprechenden Landkarten und Katastern zu Landtiteln über korrupte Funktionäre, die weiter im großen Stil und unter dem Tisch Konzessionen zum Abholzen an internationale Konzerne verscherpeln, über Naturparks, in denen illegale Siedler große Felder anlegen bis hin zu den Cocabauern, die ihre verbotenen Züchtungen in den abgelegeneren Ecken des Waldes verstecken, tummelt sich in der peruanischen Selva alles, was irgendwie Geld aus dem grünen Dschungel ziehen will – und die Gesetzgeber und Ordnungshüter scheren sich recht wenig um die schönen Gesetze und zahlreichen Anordnungen zum Schutz des Regenwalds. Im Gegenteil – um dem Sarkasmus noch die Krone aufzusetzen, zeigt die peruanische Regierung weiter eifrig ihre Fernsehspotts, in denen der Urwald als das grüne El Dorado Perus angepriesen wird – nach dem Motto: gehet hin und labet Euch alle an den reichen Schätzen der Natur, die dort im Überfluss vorhanden sind und nur darauf warten, in Geld verwandelt zu werden.

Im Gespräch mit unserer Partnerorganisation, die in der Region vor allem die Rechte der indigenen Völker verteidigt, sich stark macht für die Einhaltung internationaler Konventionen zum Schutz der Amazonasvölker, die Menschenrechte verteidigt und kulturelle Rechte einklagt, sinkt unser Mut noch weiter. Ein Blick auf die Landkarte mit den bereits vergebenen Konzessionen zum Abholzen des Regenwaldes – nicht nur in Peru, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus in Kolumbien, Brasilien und Ecuador – zeigt, dass der gesamte Amazonas quasi schon verkauft ist. Kaum ein Flecken, der nicht schon zur Ausbeutung freigegeben wäre. Und es braucht wenig, um uns von der Richtigkeit dieser Dokumente zu überzeugen: Überall in der Region begegnen uns große LKWs mit Holzladungen, fahren Boote beladen mit den Stämmen riesiger Bäume die vielen Flüsse hinab Richtung Brasilien.

Der Amazonas war einst die Lunge der Erde, ein wilder, grüner Dschungel, doch was davon übrigbleibt, sind landwirtschaftliche Nutzflächen, kahlrasierte Hügel, versteppte Landschaften. Doch die Tage der „Grünen Hölle“ sind gezählt, und ich fühle mich machtlos in Anbetracht der vielfältigen Probleme hier, der sich widesprechenden Interessen von Holz- und Ölkonzernen, von Kleinbauern und indigenen Völkern, von Naturschützern und Abenteurern, von Touristen und Drogenmafia.

Der radikale Kahlschlag bleibt nicht ohne Folge – die Regenfälle bleiben in der Region bereits aus, die Erde verwüstet, die Sonne brennt gnadenlos auf die ausgelaugten Böden. Ein riesengroßer Waldbrand frisst sich in den Wald, und die peruanischen Behörden sind darauf nicht vorbereitet. Nie zuvor hatte der Regenwald in solchen Ausmaßen Feuer gefangen.

Auch in den anderen Ländern unserer wird sich dieser massive Eingriff in die Natur rächen – erst neulich habe ich im Spiegel gelesen, dass die Erwärmung der Erde derzeit schneller voranschreitetals je zuvor.

Wir sprechen mit vielen verschiedenen Menschen in dieser Woche in Tarapoto, Yurimaguas und Moyobamba. Mit NGOs, mit einem engagierten Bischof, mit Vertretern von Eingeborenenorganisationen, die um den Schutz ihrer Heimat kämpfen. Wir sprechen mit Regierungsvertretern, Bürgermeistern und Menschenrechtlern, mit Anwälten und Journalisten.

Es ist immer das gleiche Lied, es sind immer die gleichen Probleme.... Doch. Ja. Es gibt auch Lösungsvorschläge, Ideen, Konzepte, Strategien, Papiertiger. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen von der Lösung. Alle Organisationen, Institutionen und Interessengruppen haben Vorschläge. Und viele dieser Vorschläge sind gar nicht schlecht. Doch wo fließen diese fielen Vorstellungen zusammen in eine kohärente Strategie und gelebte Realität zum Schutz des Amazonas? Und wer wacht darüber, dass die Maßnahmen auch konsequent umgesetzt und nicht von verschiedensten Seiten unterlaufen werden?

Die Hoffnung nicht aufgeben. Weiterkämpfen. Weiter unterstützen. Weiter an das Unmögliche glauben... Vielleicht wird aus den vielen kleinen Ansätzen, aus den zahlreichen kleinen Steinchen irgendwann doch noch ein Mosaik, das sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt?? Im Moment habe ich leider vielmehr das Gefühl, dass hier viele Köche einen ungenießbaren Brei zusammenrühren, der gekocht wird auf einem Lagerfeuer aus edlen Harthölzern aus dem Amazonas....

Und während noch viele, viele Gedanken in meinem Kopf herumgeistern, die ich gar nicht alle aufschreiben kann, ergreift mich allmählich die große Müdigkeit. Vielleicht kann ich ja morgen wieder optimistischer denken, wenn meine Seele auch wieder hier in Lima eingetroffen ist, wenn ein bißchen Alltag zwischen den Erfahrungen der vergangenen Woche und meinen heutigen Gedanken liegt...? Oder vielleicht sollte ich einfach ganz mit dem Nachdenken aufhören, meinen Wein zu Ende trinken und in’s Bett gehen....

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05.10.05

The United States of America




September 2005. Meine nächste Reise führt mich in einen – zumindest für meine Begriffe – exotischen Teil der Welt: ich reise in die USA! Für jemanden wie mich, die mich meine Reisen bisher vorwiegend in die Länder der sogenannten „Zweiten und Dritten Welt“ geführt haben, ist meine erste Reise zur „First Nation“ ein echtes Erlebnis. Vermutlich nicht nur für mich – denn dieses Land ist so vielseitig, so widersprüchlich, es vereint so viele verschiedene Nationen, Lebensweisen und Kulturen in sich, dass dort vermutlich jeder Reisende große Augen kriegt, schon alleine angesichts der für Europäer schier unermesslichen Größe des Landes, der weiten Landschften, der sechsspurigen Highways, der überdimensionierten Milchtüten, der schiffartigen Autos oder der vielen, irgendwie leicht „oversized“ bzw. „overweight“ wirkenden Menschen.

Meine erste Reise in die United States of America führt mich zunächst nach Arizona, wo Olaf seit einem Jahr in einem Forschungsprojekt an der Arizona State University arbeitet. Die nervigen Einreiseprozeduren in die USA kenne ich schon von früheren Stop Overs auf meinen Reisen von Europa nach Lateinamerika und so ziehe ich mich bei der Landung in Dallas innerlich warm an angesichts der mir schon bestens bekannten rüden Umgangsformen an den Immigration Desks. Auch diesmal schaffe ich es mal wieder, genau den falschen Zettel an der falschen Stelle abzugeben, werde daraufhin mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck zurückgeschickt, um das grüne statt des weißen Formulars auszufüllen, stelle mich brav erneut in einer der endlos langen Schlangen an, nervös auf die Uhr blickend, weil ich meinen Anschlussflug nach Phoenix nicht verpassen will. Als ich endlich wieder vor dem Immigration Officer stehe, den richtigen Zettel fast komplett richtig ausgefüllt, meine Fingerabdrücke auf einem kleinen digitalen Touch Pad hinterlassen habe, mich per Digitalkamera habe fotografieren lassen und die neugierigen Fragen des Beamten ohne bissigen Verweis auf Datenschutz und Privatsphäre beantwortet habe („was machen Sie in Peru?“, „ist das so eine Art Missionarsarbeit oder eher the business side of development cooperation?“ „was wollen Sie in den Vereinigten Staaten?“, „Wieso waren Sie schon in so vielen Ländern auf der Erde?“ und last but not least „Wieso waren Sie vorher noch nie länger als für einen Zwischenstop in den Vereinigten Staaten?“ – ich verkneife mir die Antwort, die mir auf der Zunge liegt...), stempelt er mir endlich, endlich das Visum in den Pass und ich darf weitergehen, zur Gepäckabholung, durch den Zoll, zum Wieder-Check-In, zu der nächsten, endlosen Schlange vor den Röntgengeräten der Handgepäckkontrollen, wo wir Wartenden im vorauseilenden Gehorsam schon brav unsere Schuhe ausziehen, Ringe und Armbanduhren in Plastikschalen legen, Laptops aus der Tasche nehmen – und es den Kontrolleuren doch nicht recht machen können, die uns denn auch wütend anherrschen, weil wir die Arme nicht weit genug nach oben nehmen, ein paar Münzen in unseren Hosentaschen übersehen haben oder verbotenerweise versuchen, ein Sandwich von Texas nach Arizona zu „schmuggeln“. Welcome to the United States of America – zum Glück steht es auf einem Schriftzug in einem der vielen Gänge auf dem Weg von einem Gate zum anderen, sonst hätte ich fast nicht gemerkt, dass ich hier herzlich willlkommen bin!

Die Landung in Arizona ist dafür um so schöner, denn am Gepäckband wartet schon Olaf auf mich, nimmt mich genervtes Bündel in den Arm, schleppt meinen Koffer und verfrachtet mich in ein Taxi, das mir nach dem ersten Kontakt mit der heißen Luft Arizonas gleich wie der Wechsel vom Backofen in den Kühlschrank vorkommt. Eine Erfahrung, die ich in den nächsten zwei Wochen noch häufig machen werde.....

Tempe, Olaf’s derzeitige Wahlheimat, ist ein relativ verschlafenes „Städtchen“ und die Vorstadtsiedlung, in der Olaf wohnt, dämmert in der Nachmittagshitze vor sich hin. Kein Mensch ist auf der Straße zu sehen, alle haben sich bei um die 43 Grad Celsius in ihre klimatisierten Häuser, Büros, Shopping Malls oder Autos zurückgezogen und werden auch am Abend, wenn die Temperaturen auf etwa 33 Grad sinken, nicht herauskommen. Die Luft flirrt vor Hitze und die wenigen Meter vom Taxi zur Haustüre wirken schweißtreibend. „Zuhause“ angekommen, begrüßen mich die fünf Katzen von Kim (Olaf’s Vermieterin und Mitbewohnerin) – Astro (der Verschmuste), Hepseba (die Majästetische), Orbit (der Schöne), Jupiter (der Schlanke) und Postre (der Exzentrische). Auch sie scheinen gerade ihrer nachmittäglichen Siesta zu fröhnen und nach kurzem Aufhorchen und Um-Futter-Betteln drapieren sie sich wieder auf Stühle, Sofas und Kissen und fallen zurück in ihren schnurrenden Schönheitsschlaf. Ich zögere nicht lange, es ihnen gleich zu tun, räkle mich gemütlich unter dem surrenden Ventilator und der klappernden Klimaanlage - und schlafe erst mal ein paar Stunden!

Die nächsten Tage verbringe ich mit Olaf in Tempe, wo ich seine Freunde, seinen Arbeitsplatz, seine Kollegen, seine Uni, seine Lieblingsrestaurants und –buchläden kennenlerne. Ich habe eine längere Liste von Dingen, die ich in den USA besorgen will, weil ich sie in Peru nicht bekomme, und so machen wir uns auf den Weg in eine auf 25 Grad heruntergekühlte Shopping Mall, in der ich mir erst mal ein paar Jeans und langärmlige T-Shirts kaufen muss, damit ich beim Einkaufstrip nicht erfriere. Hier gibt es alles, was Mensch so braucht und vieles, was kein Mensch braucht. Die Mall ist riesig, die einzelnen Shops auch, und – was sehr angenehm ist – sogar die Umkleidekabinen sind total geräumig und wirken eher wie Umkleidesäle auf mich. Es macht Spass, hier einzukaufen, und ich verfalle in meinen ersten original amerikanischen Kaufrausch, ein Gefühl, das in dieser Gesellschaft oft und gerne stimuliert wird, dessen man sich auch in keinster Weise schämen muss, sondern auf das man stolz sein darf, denn wer shoppt, ist ein Wohltäter, er fördert das Bruttosozialprodukt und trägt bei zum allgemeinen „Ist-das-Leben-nicht-wunderbar-Gefühl“. Stolz trage ich also nach vollbrachter Tat meine sieben Tüten nach Hause – in dem Gefühl, heute endlich mal etwas wirklich Wichtiges zum Wohle der Menschheit beigetragen zu haben.

Die erste Etappe unserer nach kurzer Überlegung auf zwei läppische Stationen zusammengekürzten Amerikarundreise führt uns nach San Francisco – eine Stadt, in die ich mich auf Anhieb verliebe und für die ich schon deshalb eine große Sympathie hege, weil sie sich – wie Lima –oft und gerne in einen kühlen, weißen Nebel hüllt, der vom Pazifik aufsteigt und an so manchen Sommertagen die Stadt in eine deutsche Novemberstimmung versetzt. Nicht, dass ich diese Nebelschwaden besonders anheimelnd fände, aber wenn sogar eine Weltstadt wie San Francisco sich diese exzentrische Marotte leistet, dann muss ich Lima dafür ja in Zukunft auch nicht mehr so sehr grollen :-) .... Wenn also nicht unbedingt der Nebel, was dann fasziniert mich so auf Anhieb an San Francisco? Es ist eine Stadt mit Persönlichkeit und Charisma – irgendwie sehr amerikanisch, und dann doch wieder so überhaupt nicht typisch für dieses Land. Ich bin begeistert von den Hügeln San Franciscos, von den vielen verschiedenen Neighbourhoods – angefangen von der farbenfrohen, quirrligen China Town über das ruhige, stilvolle japanische Viertel, vom lauten Latino-Barrio zum gediegenen Finanzzentrum mit seinen jung-dynamischen Bänkern im blauen Anzug und weißen Hemd. Die Architektur dieser Stadt ist so vielfältig wie seine Bewohner – da gibt es gläserne Wolkenkratzer in allen möglichen Höhen und Formen, die flachen Piers am Hafen mit ihren großen Lagerhallen und den weißen Segelbooten davor, die typisch amerikanischen, einstöckigen Vorstadthäuser mit Garten und Garage in den Mittelstandsvierteln und edle Villen im viktorianischen Stil auf Nob Hill oder am Rande des Golden Gate Parks. Ich kann mich nicht sattsehen an den immer neuen Aussichten, den Blicken die weiten Straßenschluchten hinunter, durch die sich die mit Touristen vollgestopfte Cable Car arbeitet. Ich erträume mir ein blaues Haus auf Nob Hill, mit Blick auf den Hafen zur einen Seite und auf das moderne City-Center zur anderen Seite, nur einen Katzensprung vom italienischen Viertel entfernt, wo eine Pizzeria neben der anderen ihre leckeren italienischen Spezialitäten anbieten. Das kulturelle Angebot in San Francisco ist so enorm groß, dass uns die Auswahl unter den verschiedenen Museen und Ausstellungen schwerfällt, und letztlich schaffen wir nur einen kleinen Teil von dem, was wir in die engere Wahl genommen hatten. Denn schließlich sind da auch noch die vielen schönen Parks, die Golden Gate Bridge, eine Rundfahrt mit dem Boot durch die San Francisco Bay und die vielen, vielen netten kleinen thailändischen, vietnamesischen, chinesischen, japanischen, persischen und und und..... Restaurants, die schnuckeligen Cafés, Second-Hand Buchläden und tausend andere Attraktionen, die wir unbedingt noch sehen müssen.... Die Zeit verfliegt in San Francisco, wir lassen uns treiben, genießen die bunte Vielfalt hier, diskutieren über die vielen Homeless People, die wir in den Straßen sehen, oftmals Schwarze, aber auch gestrandete Flower-Power-Überbleibsel, behinderte Menschen, Drogensüchtige.... als wir abends zu Fuß durch so manche dunkle Gasse in San Francisco gehen, habe ich ein ähnlich komisches Gefühl wie ich es auch oft in Lima haben. Die Typen, die hier rumhängen, sehen nicht gerade vertrauenerweckend aus, und wir sehen zu, dass wir in den nächsten Bus steigen. Auch das ein Teil der amerikanischen Realität: die Verlierer einer total auf Konsum und Fun eingestellten Gesellschaft, diejenigen, die dem American Way of Life nicht gewachsen sind oder es nicht sein wollen... Es ist eine widersprüchliche Gesellschaft, mit krassen Gegensätzen, und ein Ausflug ins Latino-dominierte Mission-Viertel läßt uns diese Gegensätze in ihrer ganze Spannbreite erahnen.

Ich bin mir sehr bewußt, dass wir hier zu einer privilegierten Schicht gehören, dass wir uns vieles leisten können (oder im Urlaubs-Ausnahmezustand leisten wollen...), was für andere Mitglieder dieser Gesellschaft unerschwinglich ist. „Shop til you drop“ – diesen Lebensstil muss man sich erst mal leisten können. Manche „droppen“ schon durch den ganz normalen Wahnsinn des Alltags...

In San Francisco liegen die Welten eng beieinander – hier befinden sich China und Japan, Mexico und Guatemala, erste Welt und dritte Welt, Flower Power und dot.com-Welten in unmittelbarer Nachbarschaft. Es ist erschreckend, diese Gegensätze zu sehen, aber auch sehr faszinierend.

Als wir nach 5 Tagen unser bescheidenes 82-Dollar-Hotelzimmer räumen und uns auf den Weg zum Flughafen machen, weiß ich, dass ich zurückkommen werde in diese Stadt. Irgendwann werden Olaf und ich dieses süße blaue Haus auf Nob Hill kaufen – wenn wir groß sind, und reich, und berühmt, und den Aufstieg vom Tellerwäscher – äh, Entwicklungshelfer und brotlosem Forscher- zum Millionär geschafft haben...

Wir fliegen also zurück ins heiße Arizona und bereiten die zweite Etappe unserer „Sanne-entdeckt-Amerika-Tour“ vor. Diesmal führt uns unser Weg nur knapp 170 Meilen nach Norden. Wir bleiben in Arizona und schauen uns eine der großen Berühmtheiten dieses Bundesstaates an: den Grand Canyon. Jeder kennt ihn von Bildern, aber die Wirklichkeit ist dennoch überwältigend. Dieser riesige Riss in einer eigentlich völlig platten Wüstenlandschaft ist absolut erstaunlich. Da tut sich ganz unvermittelt eine ganze Bergwelt vor uns auf – versteckt in einer Schlucht, die so tief ist, dass der tiefste Punkt von oben aus nicht zu sehen ist. Es ist kühler hier, zumindest an den oberen Kanten des Canyons, doch wenn man hinabsteigt wird es mit jedem Meter trockener und heißer und wir brechen unsere Wanderung bald ab, weil die zweieinhalb Liter Wasser, die wir pro Nase dabeihaben, nicht lange vorhalten. Ich bin tief beeindruckt von diesem Naturspektakel, von den bizarren, roten Felsformationen und den über unseren Köpfen kreisenden Kondoren. Doch auch weniger spektakuläre Landschaften, wie der Sunset Crater oder die Ruinen von Wupatki, einer alten Indianersiedlung, versetzen mich in Begeisterung. So fahren wir tagelang durch Arizona, halten hier, staunen da, machen viele, viele Fotos, wandern in Parks und durch grüne Espenwälder, bewundern die Farbenpracht der Painted Desert, genießen morgens die herrlichen Blueberry Pancakes oder Burritos mit Bohnen und Hash Potatoes und abends die Vielfalt der exotischen Restaurants, die es – neben McDonalds und Pizza Hut – auch und entgegen aller anders lautender Gerüchte in den USA gibt. Man kann hier sehr gut essen, auch sehr gesund, wenn man es darauf anlegt, und die Fast-Food-Ketten sind nur ein Teil der amerkanischen Esskultur.

Dieser Ausflug in die amerikanische Realität zwingt mich, viele meiner Vorurteile zu revidieren. Ich mag die Amerikaner, die mir fröhlich zuwinken, während ich gerade nichtsahnend in entgegengesetzter Richtung durch die Einbahnstraße fahre. Ich finde es schön, wenn mich jemand fragt „how are you today“ – und sei es nur, weil er es in einem Kurs über Dienstleistungsorietierung so gelernt hat. Die Leute hier wirken entspannt auf mich, relaxt, ungestresst und unstressig. Ich merke, wie schön es ist, mal alle Gedanken an die Ungerechtigkeiten der Welt wegzuschieben und einfach das Leben zu genießen – und es gibt wohl kein Land auf dieser Welt, in dem einem das so leicht gemacht wird wie hier in den USA! Das Autofahren macht Spaß hier – kein Gehupe, kein Gedrängle und Geschubbse wie in Lima, kein Stau, der Verkehr fließt auf den überdimensionierten Highways völlig easy vor sich hin, und oftmals sind wir ganz alleine auf weiter Flur, mit unserem kleinen roten Mitsubishi.

Die weiten Landschaften erwecken das Gefühl von grenzenloser Freiheit in mir, von unendlicher Weite und ich bekomme eine kleine Idee dafür, warum die Amerikaner so sind, wie sie sind: hoffnungslos naiv, verliebt in ihr großartiges Land, blind für die Schattenseiten des Lebens, unglaublich optimistisch und unglaublich weltfremd.

Und doch bleibt es dabei, ich mag dieses Land, ich mag diese Leute (nicht alle, denn ich weiß, dass sich hier 51 % Bush-Wähler rumtreiben, dass Olaf’s Freunde wohl alles andere als repräsentativ sind für den Durchschnittsamerikaner und ich ahne, dass ich mit der oberflächlichen Freundlichkeit vielleicht bei längerer Exposure auch meine Probleme haben könnte), ich mag die Landschaften Arizonas, den blauen Himmel, die Weite und das Gefühl, dass hier die Dinge nicht so eng sind wie in Deutschland, aber auch nicht so chaotisch wie in Peru.

Ja – ich weiß, das klingt schon fast gefährlich. Die USA zu mögen ist aus der Mode gekommen. Schließlich führt dieses Land einen völlig sinnlosen und in keiner Sekunde gerechtfertigten Krieg gegen den Irak. Schließlich ist dieser Präsident, der glaubt, die Welt beherrschen zu können, der dümmste Idiot, den die Welt je als Präsidenten gesehen hat. Schließlich weigern sich diese Amis, aus ihren großen, 16-Liter-Benzinschluckern auszusteigen und das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben, statt dessen nehmen sie immer heftiger wütende Hurrikane in Kauf, bei denen dann in erster Linie die Verlierer des American Way of Life auf der Strecke bleiben, die Schwarzen, die Homeless People, diejenigen, die nicht genug besitzen, um sich in ihren vollklimatisierten Van zu setzen, mal kurzerhand den Tank für 100 Dollar zu füllen und sich in ein kuscheliges Hotel in Sicherheit zu bringen. Schließlich sind die Amerikaner neurotisch genug, sich jeden Terrorbären aufbinden zu lassen und blind genung, die wahren Wurzeln für den weltweit grassierenden Terror zu erkennen und zu bekämpfen. Es ist ein durchaus widersprüchliches Land – wie wohl jedes industrialisierte Land irgendwie auch ein widersprüchliches Land ist, denn wir leben in einer Welt voller Gegensätze, und wie sollen da die Widersprüche ausbleiben? Aber es ist auch ein schönes Land. Ein Land voller Chancen. Ein Land, in dem man gefragt wird „Did you have fun?“ und in dem es leicht ist, genau das zu haben: Fun! Und ich kann Euch gar nicht sagen, wie inspirierend und befreiend ich es fand, einfach mal nur „just for fun“ zu leben.....


 
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